Zwischen mehr Variabilität und kurzer Integration
Die deutsche Nationalmannschaft ist nach der Ankunft von Dennis Schröder und dem Berliner Meistertrio komplett. Vor der Olympia-Quali bleibt aber nur ein weiteres Vorbereitungsspiel – ein Balanceakt.
Beim Supercup in Hamburg hatte die deutsche Nationalmannschaft mit Joe Voigtmann einen Point Center in ihren Reihen. In Heidelberg, wo am Donnerstagabend das letzte von vier Testspielen gegen den Senegal ansteht, ist nun der echte Starting Point Guard zum Team gestoßen: Durch die Ankunft von Dennis Schröder sowie dem Berliner Meistertrio Niels Giffey, Maodo Lo und Johannes Thiemann ist das DBB-Team komplett.
„Mit den vier Spielern, die dazugekommen sind, haben wir natürlich sehr an Qualität gewonnen. Ich glaube, wir sind noch ein bisschen variabler geworden“, erklärte Bundestrainer Henrik Rödl zur Ankunft des Point Guards Schröder und über den bisherigen Wert von Point Center Voigtmann: „Die Qualitäten von Joe werden wir natürlich weiterhin versuchen einzusetzen, das wird ein großer Bestandteil unseres Spiels sein.“
„Joe Voigtmann auf der großen Position zu haben, mit seinem Spielverständnis, ist sehr wertvoll für uns“
Voigtmann lief in zwei der drei Supercup-Spiele auf und verteilte dabei jeweils sieben Assists. Mit elf Punkten, neun Rebounds und sieben Assists beim 91:79-Erfolg gegen Italien war der Center von CSKA Moskau nicht weit von einem Triple-Double entfernt. Statt vom Low- oder High-Post agierte der Big Man meist von der Dreierlinie und zeigte dort seine Passqualitäten im Spiel mit dem Gesicht zum Korb. Ein Nutznießer? Andi Obst. Der Guard stellte die Bedeutung von Voigtmann wie folgt heraus:
„Joe ist ein Wahnsinnsspieler. Sobald er den Ball hat, sieht er sofort jeden Winkel auf dem Feld. Wenn irgendwo eine Lücke ist, und der Spieler diese Lücke nutzt, dann weiß er den Pass dort hinzuspielen. Er weiß, wie die Defense rotieren wird.“ So wenn Obst beispielsweise einen Flare-Screen nutzte und von Voigtmann per Skip-Pass bedient wurde. Auch kam Obst zum Hand-Off an die Birne, ehe ein Pick-and-Roll der beiden folgte. „Ihn auf der großen Position zu haben, mit seinem Spielverständnis, ist sehr wertvoll für uns.“
Im oben aufgeführten Spielzug, mit seinen unterschiedlichen Optionen, könnte sicherlich auch Schröder gut eingebaut werden. Mit seinem Ballhandling und Speed muss Schröder natürlich immer der Fixpunkt einer Offensive sein, gerade auf FIBA-Niveau. Doch gerade durch die schwierigen Umstände und den Fakt, dass der Point Guard nur eines der vier Vorbereitungsspiele bestreiten wird, dürfte Rödl das Offensivspiel sicherlich nicht komplett verändern.
„Wir wollen natürlich an dem Geist und der Art, wie wir spielen, am Wochenende in Hamburg anknüpfen“, erklärte Rödl. Gegen den Senegal werde man, auch hinsichtlich der Einsatzzeiten der vier neuen Spieler, „natürlich ein bisschen improvisieren.“ Die Abstimmung könne noch nicht bei 100 Prozent sein. „Deswegen wird das Bild [gegen den Senegal] sicherlich nicht immer so aussehen, wie wir uns das am ersten Spieltag [der Olympia-Quali] gegen Mexiko vorstellen.“
Von der Rückkehr Schröders sowie Lo wird sicherlich auch Andi Obst profitieren. Der 24-Jährige absolvierte eine hervorragende BBL-Saison 2020/21 und nahm seinen Shooting-Touch mit in den Supercup, neun seiner 19 Dreier versenkte Obst in den drei Partien in Hamburg. „Meine Rolle ist relativ klar beschrieben: dass ich mit meinem Wurf eine Gefahr ausstrahle. Vor allem jetzt mit unseren schnellen Guards, die sehr gut den Korb attackieren und den Kickout-Pass spielen können.“ Wobei Obst schon längst nicht mehr der eindimensionale Werfer ist, sondern auch beim Drive zu überzeugen weiß. Auch als Ballhandler ist Obst effizienter geworden.
„Die Identität der Mannschaft sollte vor allem in der Verteidigung liegen“
Neben den Blowout-Siegen gegen die Tschechische Republik und Tunesien setzte sich die DBB-Auswahl beim Supercup mit Italien gegen ein starkes europäisches Team durch – wo das deutsche Team vor allem nach der Pause defensiv überzeugte. „Die Identität der Mannschaft sollte vor allem in der Verteidigung liegen. Wir müssen dort sehr gut kommunizieren, mit sehr viel Energie und Leidenschaft spielen“, sagte Rödl über den „ganz guten Anfang“ beim Supercup.
Auffällig war dabei, wie unterschiedlich das DBB-Team im Pick-and-Roll verteidigt hat: Mal sank der Big Man tief in die Zone ab, mal switchte die deutsche Defense. „Wir haben einige Sachen beim Supercup ausprobieren können. Man möchte in der Verteidigung ja nicht immer das gleiche Bild anbieten, weil sich Mannschaften natürlich darauf einstellen können. Wir haben beispielsweise im Spiel gegen Italien die Art, wie wir den Fünfer und jemanden wie Nicolo Melli decken, in der zweiten Halbzeit verändert – das hat dann auch ganz gut geklappt“, erklärte Rödl. „Das sind ,Werkzeuge‘, die sich die Mannschaft erarbeiten muss, um auf bestimmte und verschiedene Situationen und Gegenspieler zu reagieren.“
Auch hier steht also die Variabilität im Vordergrund. Eine Variabilität, die auf Grund der Flexibilität wichtig ist – aber sicherlich nicht einfach zu implementieren ist. „Die ersten zwei Trainingstage bestanden mehr darin, alle auf den gleichen Nenner zu bringen. Sicherlich werden wir die Zeit in Split nutzen, um uns konkret auf Mannschaften vorzubereiten.“
Am Freitag wird das DBB-Team nach Split fliegen, dort bleiben dann drei weitere Tage der Vorbereitung, ehe am Dienstag das erste Olympia-Quali-Spiel gegen Mexiko ansteht. Rödl wird mit 14 Spielern nach Kroatien reisen, am Tag vor dem Mexiko-Spiel muss der Zwölfer Kader ernannt werden. Bisher machen sportlich Joshiko Saibou – mit seinem Ballhandling und seinen Drives – sowie Jan Niklas Wimberg – mit seinen Aktionen ballabseits und seiner Fähigkeit, auf der Drei und Vier zu spielen – einen guten Eindruck.
Gut möglich also, dass Lukas Wank und Leon Kratzer (Joe Thiemanns Fitnesszustand vorausgesetzt, welcher verletzungsbedingt einige Playoff-Spiele verpasst hatte) es nicht in den Kader schaffen werden.
Wie der letztendliche Kader für die Olympia-Quali auch aussehen wird, und wie stark die Identität auch in der Verteidigung liegen mag, das Potential einer variablen Offensive hat das DBB-Team allemal: Schröder als Playmaker, Voigtmann als Point Center, Obst als Distanzgefahr. Dazu kommen mit Isaac Bonga mit seinem Transition-Spiel sowie Moe Wagner mit seiner Energie in der Zone zwei NBA-Spieler mit viel Impulsen. DBB-Kapitän Robin Benzing besitzt immer noch Mismatch-Potential und ist aus dem Back-Screen Pick-and-Roll eine Option. Niels Giffey und Danilo Barthel wissen aus dem Low-Post zu punkten. Und Maodo Lo ist nach Dribblings eine Waffe.
Apropos Lo: Auch in der Final-Serie Berlins gegen den FC Bayern München wurde ersichtlich, dass es in bestimmten Situationen auch mal Eins-gegen-Eins-Aktionen benötigt. Mit Lo sowie natürlich Schröder hat das DBB-Team starke Optionen im Backcourt. Gerade wegen der kurzen Integrationszeit wird die DBB-Offensive sicherlich auch darauf zurückgreifen. In Nuancen eingesetzt, wäre dies auch ein Zeichen der Variabilität.