Johannes Voigtmann: „Basketball in der ACB ist wie Schach“
Johannes Voigtmann hat sein zweites Jahr bei Baskonia hinter sich. Im Interview spricht der Center über spanischen Basketball wie Schach, die NBA-Zukunft von Luka Doncic und Isaac Bonga sowie das krasseste Erlebnis seiner Karriere.
basketball.de: 78. Kannst du die Zahl einordnen?
Johannes Voigtmann: (lacht) Die kann ich relativ gut einordnen, ja.
Es ist die Anzahl deiner Pflichtspiele in den vergangenen neun Monaten, die EM 2017 mal ausgenommen. Das hat schon NBA-Charakter.
Ja, das stimmt. Letztes Jahr waren es 75, dieses Jahr sind es 78 Spiele. Es ist schon ne Menge. (lacht)
Bei so einer langen Saison: Was ist bei dir am stärksten hägengeblieben?
Der Höhepunkt war für mich das dritte Spiel der Finalserie. Das war das krasseste, was ich jemals erlebt habe: von der Stimmung [Baskonia spielte zuhause vor 15.521 Zuschauern, einem ACB-Playoff-Rekord, Anm. d. Red.] und der Anspannung her. Leider war ich nicht ganz fit. Das war dennoch mein Highlight.
Dann gab es auch negative „Highlights“: dass wir am Anfang der Saison richtig schlecht gestartet sind. Dann hat der Coach quasi „hingeschmissen“. Es gab sehr viele Abenteuer in dieser Saison, das war auch mal etwas anderes. (schmunzelt) Es waren viele Ups and Downs, aber am Ende eine sehr erfolgreiche Saison.
„Das dritte Finalspiel war das krasseste, was ich jemals erlebt habe“
Du hast deine zweite Saison in der EuroLeague gespielt. Wie gut du dich im ersten Jahr geschlagen hast, kam für einige vielleicht überraschend. Jetzt nach dem zweiten Jahr kann man sagen, dass du dich in Europa etabliert hast. Wie beurteilst du deine Spielzeit persönlich?
Letztes Jahr verlief alles natürlich sehr überraschend, das stimmt. In dieser Saison wurde ein bisschen weniger über mich gelaufen. Ich habe viel auf der Vier gespielt. Im Großen und Ganzen war es aber wieder eine sehr erfolgreiche Saison. Ich habe von außen sehr viel bessere Quoten gehabt.
Ich habe alles schon mal durchgemacht, ich hatte also ein bisschen mehr Erfahrung. Im letzten Jahr war ich am Ende der Saison richtig kaputt. In diesem Jahr konnte ich mir alles ein bisschen besser einteilen und besser darauf hinarbeiten, damit ich die ganze Saison über fit bin. Darin hatte ich ein richtig gutes Gefühl – bis zur Sprunggelenksverletzung. Das sind so Sachen, die man lernt, wenn man 78 Spiele hat. Und es ist auch sehr wichtig, das zu lernen.
Vor zwei Jahren habe ich mit deinem damaligen Head Coach in Frankfurt gesprochen, Gordon Herbert. Über dein Spiel gefragt, meinte Herbert, du seiest für ihn wie ein „litauischer Fünfer“. Was sagst du zu dieser Beschreibung?
Gegen litauische Fünfer ist eigentlich nichts einzuwenden. (lacht) Ich glaube, er meint damit, dass ich ein relativ gutes Spielverständnis und einen guten Wurf habe. Das hat auch gut mit seiner Spielphilosophie zusammengepasst. Deswegen kann ich damit leben. (schmunzelt)
Genau das sprach er an. Er meinte auch, dass du „technisch sehr gut ausgebildet“ seiest. Inwieweit kommt dir das gerade in der ACB zugute – einer Liga, in der vielleicht mehr Technik und Taktik gefragt sind als beispielsweise Athletik?
Ja, auf jeden Fall. Die ACB ist auch sehr körperlich. (überlegt) Irgendjemand hat mal gesagt, es ist ein bisschen wie Schach. Es geht viel um Taktik und Technik. Das kommt mir schon zugute, darin liegen meine Stärken – gerade auch im Spiel von außen.
Dieses Jahr habe ich ein bisschen mehr auf der Vier gespielt, deshalb sind diese Vorteile ein bisschen „verschwunden“. Ich musste ein wenig mehr im Low-Post spielen. Im Großen und Ganzen bin ich trotzdem wieder zufrieden.
„Unser Trainer Pedro Martinez war ein Schüler von Aíto“
Ich weiß nicht, wie sehr du die BBL verfolgt hast. Aber viele wurden vom Berliner Basketball begeistert. Coach Aíto ließ eine freie Motion Offense ohne viele Spielzüge laufen. Man könnte sagen, dass das ein spanischer Einfluss sei. Ist das etwas, das in Spanien – ob bei Gegnern oder bei euch – häufiger vorkommt?
Unser Trainer [Pedro Martinez] war ein Schüler von Aíto. Deshalb ist es ganz witzig, den Basketball anzuschauen, weil viele Sachen, die die Berliner gemacht haben, wir auch gemacht haben. Oder zumindest so ähnlich, gerade in der Verteidigung.
In der Offense haben wir nicht so frei gespielt, aber es gibt Vereine – beispielsweise Obradoiro, wohin Andi Obst wechselt –, die fast alles frei spielen. Es ist schon sehr schwer, sich als Gegner darauf einzustellen. Man hat auch gesehen: Die Berliner haben am Anfang mit ihrer Verteidigung alle Offensiven durcheinandergebracht – weil diese einfach nicht wussten, was sie dagegen machen sollen, weil sie es nicht kannten. In Spanien ist es schon wieder ein wenig so, dass die Verteidigung gewechselt wird – weil die Gegner sich darauf eingestellt haben.
Was ich bei der Berliner Defense gesehen habe: Dass beim Pick-and-Roll noch ein dritter Verteidiger vom Flügel Richtung Ballführer hochkommt und ein wenig Druck macht. Meinst du das?
Genau. Das haben wir letztes Jahr mit Sito Alonso die ganze Zeit gespielt, das war unsere Verteidigung. Irgendwann mussten wir das ein wenig anpassen, weil sich eben unsere Gegner darauf eingestellt hatten.
Man hat gesehen: Die deutschen Teams kannten das nicht, weil einfach niemand so gespielt hat. Damit hatten die Gegner wirklich Probleme. Deshalb war das ein schönes, belebendes Element in der Liga. Damit du mal etwas anderes hast, als nur Pick-and-Roll, Pick-and-Roll, Pick-and-Roll.
In der Offense habt ihr als Team nicht so frei gespielt, aber eure Gegner in der ACB. Inwieweit ändert das eurer Training, weil man in der Verteidigung die gegnerische Offense mehr lesen muss?
Im Training nicht. Was sich ein bisschen ändert: Du kannst den Gegner nicht mehr so stark scouten. Du müsstest dir so viele Calls merken. Und manche Calls sind nur verbal, und es gibt kein Zeichen dafür. Dann wird es schwierig, sich darauf vorzubereiten.
Du verteidigst einfach die einzelnen Sachen; du hast bestimmte Regeln, wie du sie verteidigen musst: wie du den Back-Screen verteidigst, wie du den Flare-Screen verteidigst. Das trainierst du mehr – mehr, als wenn der Gegner zum Beispiel „Two-Side“ läuft. Du versuchst, deine defensiven Regeln so gut wie möglich zu spielen. Auch zeitlich ist es schwierig, die ganzen Calls zu verinnerlichen, wenn du am Freitag in der EuroLeague und am Sonntag in der ACB spielst. Deswegen ist es wichtig, dass du die defensiven Regeln kennst und diese trainierst.
Zu den spanischen Finals: Was hast du gedacht, als Luka Doncic im vierten Finalspiel diesen einbeinigen Dreier-Floater-Buzzerbeater getroffen hat?
Ich habe das erst danach gesehen, im Spiel hatte ich es gar nicht so sehr wahrgenommen, wer das war. Aber das ist natürlich bitter. Das war die Krönung für Real, aber Madrid hat am Ende einfach zu gut gespielt. Sie hätten zwei, drei Würfe weniger treffen müssen, und wir wären im Spiel gewesen. Es ist sehr bitter. Am Ende können wir sagen, dass wir alles getan haben. Es hat am Ende einfach nicht gereicht.
„Luka Doncic hat einen großen Vorteil: wahnsinnig viel Erfahrung auf hohem Niveau“
Du hast in der Saison achtmal gegen Real und damit Luka Doncic gespielt. In den USA gibt es immer noch ein wenig Skepsis, wegen seiner „mangelnden Athletik“. Was ist deine Einschätzung, wie er sich in der NBA schlagen wird?
Er hat einen großen Vorteil gegenüber anderen Rookies: Er hat jetzt schon wahnsinnig viel Erfahrung auf hohem Niveau. Natürlich wird Europa von den meisten ein wenig belächelt. Allein, was Charles Barkley gesagt hat: Wenn ein 19-Jähriger MVP wird, muss er gegen schlechte Spieler gespielt haben. Das ist halt ein wenig deren Denke.
Ich glaube schon, dass es interessant zu sehen sein wird, wie es mit seiner Athletik bestellt ist. Aber er hat gerade auch so viel Masse zugelegt, womit er körperlich mithalten kann. Ob er jetzt einen Einser, beispielsweise Dennis [Schröder], verteidigen könnte, weiß ich nicht genau.
Aber die Positionen verschieben sich ja immer mehr. Du hast heutzutage ja oft nicht mehr einen Point Guard und einen Shooting Guard, sondern zwei Ballhandler. Zusammen mit Dennis Smith Jr. könnte das ein gutes Duo werden. Doncic hat einen super Wurf, super Skills, ein super Spielverständnis, eine super Übersicht, er ist groß, kräftig und kann gut zum Korb ziehen. Ich glaube, es ist relativ wenig „Bust-Potential“ vorhanden, wie man so schön sagt.
Ein anderer aktueller Draft-Pick ist Isaac Bonga, der wie du aus der Frankfurter Schule kommt. Wie schätzt du seine NBA-Zukunft ein?
Für mich ist es ganz schwer zu sagen, weil ich nicht viel von ihm gesehen habe. Ich habe einige Frankfurter Spiele gesehen, aber da hat er nicht die größte Rolle gespielt. Aber er ist auch noch sehr jung. Mit seinem Körper und seinem Potential ist er auf jeden Fall sehr interessant für die NBA. Er ist ein ähnlicher Spielertyp wie Dennis – ein wenig größer, vielleicht ein bisschen langsamer. Es ist logisch, dass er irgendwann rübergeht. Die Frage ist, was er jetzt macht: ob er direkt rübergeht oder noch hier bleibt. Das Potential ist auf jeden Fall vorhanden.
Wie sehr hast du die Saison deines ehemaligen Frankfurter Teamkollegen Danilo Barthel verfolgt?
Für ihn hat die Saison ja ein wenig schleppend angefangen, er hat wenig Spielzeit gehabt. Nach der Verletzung hat man gesehen, was er wirklich kann. Es war beeindruckend zu sehen, wie er im Low-Post dominiert hat – die ganze zweite Saisonhälfte über. Er ist verdient MVP und verdient Meister geworden. Das war echt beeindruckend.
Wir haben anfangs über deine lange Saison gesprochen. Es hätten viele verstanden, wenn du statt der Nationalmannschaft eine Pause eingelegt hättest, auch mit dem Sprunggelenk. Warum hast du trotzdem zugesagt?
Es war gar keine Frage, ob ich hierher komme. Erstmal bin ich noch topfit. Und auf Grund der EuroLeague konnte ich in den ersten beiden Fenstern nicht spielen. Deshalb war es gar keine Frage, ob ich hierher komme. Gar keine Frage.