Bastian Landgraf: „Bielefeld wird sich langfristig als 3×3-Standort in Deutschland etablieren“

Bastian Landgraf ist einer der ersten 3×3-Profis in Deutschland. Im Interview spricht der Bielefelder über den Traum von Olympia, den 3×3-Fokus in Bielefeld und welche Bedeutung 3×3 für junge Basketballer haben kann.

Intensive Trainingswochen liegen hinter 3×3-Basketballer Bastian Landgraf. Nachdem sich der 26-jährige Bielefelder zunächst individuell fit gehalten hat, ist er Anfang des Jahres erstmals in dem neuen Quintett des Teams „3x3Düsseldorf“ zusammengekommen und hat in einem Trainingscamp am mannschaftlichen Zusammenwachsen und an taktischen Elementen gearbeitet. „Es läuft in diesem Jahr alles nochmal strukturierter und professioneller ab“, berichtet Landgraf.

basketball.de: Blicken wir zunächst auf die vergangene Saison zurück. Sie endete mit dem FIBA-Challenger im September in Utrecht, ihr hattet die Deutschen Meisterschaften, den Pokal in Berlin und ein international besetztes Turnier in Hamburg absolviert. Zudem habt ihr im Mai die EM-Quali gespielt, wart in Frankreich und Kroatien bei weiteren Challenger Turnieren der FIBA. Wie siehst Du die Spielzeit im Rückblick?

Bastian Landgraf: Es ging mit dem dritten Platz im kroatischen Lipik erfolgreich los. Das Turnier hat uns die Saison geebnet. Durch die gute Platzierung haben wir uns viele Punkte geholt und konnten andere Turniere spielen. Generell war die Saison auch von der Olympia-Premiere im 3×3 geprägt. Wir hatten Turniere mit dem Nationalteam in Graz und Heidelberg. Wir waren im Frühjahr in Russland bei der United League mit absoluten Topteams.

Wie liefen die deutschen Turniere aus Deiner Sicht?

Da hatten wir uns mehr erhofft, es lief eher enttäuschend: gerade auch bei der Deutschen Meisterschaft in Düsseldorf. Wir haben im Viertelfinale mit einem Punkt knapp verloren. Allgemein muss man aber sagen, dass wir viele wertvolle Erfahrungen gesammelt und Selbstvertrauen aufgebaut haben. Wir haben in der abgelaufenen Saison – auch im Training – die Voraussetzungen geschaffen, um im neuen Jahr erfolgreich zu sein. Die Saison 2021 war eine gute Grundlage, um uns in Zukunft ganz oben zu etablieren.

„Mike Higgs‘ Mutter ist kurz vor dem Quali-Turnier gestorben – und er qualifiziert sich dann mit dem letzten Wurf für Olympia“

Im vergangenen Sommer war auch Olympia, wenn auch ohne deutsche Beteiligung. Wie schaust Du darauf zurück, und ist Olympia der besondere Ansporn?

Da bekomme ich jetzt gerade noch Gänsehaut, wenn ich an die Liveübertragungen denke. Es waren viele Emotionen im Spiel. Eine Story, die ich im Kopf habe, ist aus Polen. Mike Higgs ist ein 41-jähriger Spieler, quasi eine 3×3-Legende. Kurz vor dem Turnier ist seine Mutter gestorben, und ihre letzte Nachricht war: „Ich sehe Dich beim Olympischen Turnier.“ Und dann hat Mike sich mit dem letzten Wurf beim Quali-Turnier für Olympia qualifiziert. Da ist er auf dem Feld zusammengebrochen.

Zu den Olympischen Spielen selbst: Ich glaube, dass ich noch nie so intensive Spiele gesehen habe. Wenn ich an das Finale zwischen Russland und Lettland denke: Die Teams haben alles auf dem Feld gelassen, obwohl es nicht einmal ein Preisgeld gab.

Du und Dein Team, ihr könntet nächstes Mal selbst dabei sein?

Paris 2024 ist weit entfernt. Da sind viele Unwägbarkeiten, die man nicht selbst beeinflussen kann: Wie entwickelt sich der Sport weiter? Wer wird alles noch dabei sein? Bei den Frauen sind schon einige der besten Basketballerinnen der Welt am Start gewesen. Aber wenn ich es auf uns beziehe und aus deutscher Perspektive betrachte: Wenn ein Dennis Schröder sagt, er möchte 3×3 spielen, können wir so viel trainieren, wie wir möchten – dann wird er das Turnier bestimmen. Es gibt einfach sehr gute Spieler, die noch nicht 3×3 spielen. Man muss schauen, wie sich das entwickelt. Aber klar, wenn man Olympia jetzt gesehen hat, ist es schon irgendwie ein Traum, da auch selbst dabei zu sein.

„Wir befinden uns annähernd auf dem Level der Top-Ten-Nationen“

Wahrscheinlich auch, weil Du gesehen hast, dass Du gegen viele der Olympioniken wenige Wochen vorher selbst gespielt hast?

Vollkommen. Eigentlich gegen alle, das sind die normalen 3×3-Teams gewesen. Meistens werden die Nationalmannschaften aus einem bestehenden 3×3-Team gebildet. Und dann waren bei Olympia einfach die Top-Ten-Nationen dabei. Letztlich befinden wir also bereits annähernd auf diesem Level. Wir sind zwar noch nicht dauerhaft unter den ersten acht Teams. Aber gerade im Zeitraum von drei Jahren ist es möglich, sich als Team stark zu entwickeln. Olympia ist im Hinterkopf, und es wäre unfassbar, wenn das klappen würde. Vor ein paar Jahren hätte ich jedenfalls niemals damit gerechnet, dass es für mich in Reichweite kommt.

Welchen Stellenwert hat generell die Nationalmannschaft? Und welche Rolle spielen die Verantwortlichen um 3×3-Bundestrainer Matthias Weber?

Ich glaube, wir können sehr dankbar für die enorme Unterstützung sein. Gerade vergangenes Jahr, wo wir auch erstmals die Sporthilfe bekommen haben. Diese finanzielle Unterstützung gibt mir viel Freiheit. Es ist eine große Ehre, die EM-Quali für Deutschland gespielt zu haben. Nichtsdestotrotz steht an erster Stelle unser Team, wir als Mannschaft und meine persönliche Entwicklung. Wenn wir als Team das Maximum erreichen, werden wir auch regelmäßig für die Nationalmannschaft nominiert, und auch dort wird der Erfolg kommen.

Das Bielefelder Quartett: Alan Boger, Samuel Mpacko, Bastian Landgraf und Jannik Lodders.

„Mit Kollegen zu trainieren, die sich jeden Tag mit 3×3 beschäftigen, ist etwas ganz anderes, als mit Leuten vom Fünf-gegen-Fünf, die nur zocken wollen“

Wie wichtig ist die enge Bindung zum Team Düsseldorf gewesen?

Wir sind jetzt mit Düsseldorf zusammengegangen, um das Optimum herauszuholen. Wir Bielefelder, also Alan Boger und ich, werden mit Kevin Bryant und Shawn Gulley aus Düsseldorf das Team Düsseldorf bilden. Mit Kollegen zu trainieren, die sich jeden Tag mit 3×3 beschäftigen, ist etwas ganz anderes, als mit Leuten vom Fünf-gegen-Fünf, die mal irgendwie zocken wollen. Darum war es wichtig, in der vergangenen Saison als Team Bielefeld mit Team Düsseldorf auf Wettkampfniveau trainieren zu können. Das hat beiden Standorten geholfen. Und jetzt ist es darin gegipfelt, dass die stärksten Spieler zusammen ein Team bilden.

Was wird aus den anderen Spielern?

Der Kader wird größer, andere haben sich beruflich umorientiert oder sind in die ProA gewechselt. Wir werden fünf Profis und insgesamt einen Achter-Kader haben. Die vier besten werden aber zu den Turnieren fahren.

In welcher Form wird das Team Bielefeld weitergeführt?

Als U23-Team. Das ist ähnlich zum Modell zwischen Amsterdam und Utrecht: Sie haben dort ein großes Team, spielen aber bei Turnieren unter unterschiedlichen Namen. Amsterdam ist das Profiteam.

Düsseldorf wird das erste Team sein, Bielefeld der Nachwuchs. Es kann auch immer sein, dass Alan und ich bei Bielefeld aushelfen. Das gemeinsame Training wird meist in Düsseldorf stattfinden, individuelle Einheiten machen wir aber in Bielefeld. Alan und ich sind hier sehr verwurzelt – und keine klassischen Basketball-Profis, die ständig umziehen.

Euer Heimatverein, der TSVE Bielefeld, unterstützt euch weiter?

Ja, der TSVE ist im Hintergrund eine sehr große Unterstützung, der uns auch gerade einen neuen Trainingscourt ermöglicht hat. Im Prinzip bleibt fast alles wie vergangenes Jahr, nur dass wir unter Düsseldorf spielen.

Emre Atsür, Basketball-Abteilungsleiter vom TSVE, wird das Team weiter managen?

Ja, genau. Er hat mit 3×3 immer gut zu tun, musste zuletzt etwa die Vertragssituation der Spieler klären. Durch seine Initiative ist das Ganze letztlich entstanden. Das Familiäre macht den Reiz vom 3×3 auch ein Stück weit aus. Ich hatte mit Basketball auf professioneller Zeit abgeschlossen, habe beim TSVE [in der zweiten Regionalliga, Anm. d. Red.] nur noch hobbymäßig gespielt, war aber dennoch viel in der Halle. Da habe ich erst gemerkt, wie sehr sich Emre in das 3×3-Thema reingefuchst hat.

Wie ist das damals vor zwei Jahren weitergelaufen?

Wir hatten mit Alan, Dzemal Taletovic und mir drei Spieler, die zwar nicht mehr professionell spielen, aber ein hohes Niveau besitzen: also talentiert genug waren, um im 3×3 erfolgreich zu sein. Emre hat das ganze in die Hand genommen. Wenn man dann in Doha oder Abu Dhabi [bei „World Tour Master“-Stops Ende 2020] sitzt und dann mit drei Bielefeldern als „Bielefeld“ gegen die Topteams der Welt spielt … da bin ich Emre wirklich sehr dankbar. Es ist seine Lebensaufgabe, wofür er sich jeden Tag reinhängt, organisiert, macht und tut. Er pusht es sehr und hält uns organisatorisch den Rücken frei – wir können uns glücklich schätzen, ihn zu haben.

Bastian Landgraf beim World Tour Masters in Doha 2020

„Zu den Teams zu gehören, mit denen man bei jedem FIBA-Turnier rechnen kann, ist mein Ansporn“

Was bedeutet die neue Teamordnung mit Bielefeld und Düsseldorf für die Weltrangliste, die individuellen Punkte bleiben ja sicher erhalten?

Richtig. Wir sind in der Einzelwertung inzwischen alle unter den Top-100. Für einen „Pro Circuit“, also diejenigen, die bei Challenger und World Tour Masters spielen dürfen, werden maximal sechs Spieler gemeldet. Davon dürfen pro Turnier dann vier Spieler mitfahren beziehungsweise teilnehmen. Von den sechs Akteuren zählen dann die ersten drei mit den meisten Punkten für die Team-Weltrangliste. Alan und ich werden ja dabei bleiben. Und dann rückt der Düsseldorfer mit den meisten Punkten für Samuel Mpacko nach. Aktuell sind wir auf dem 17. Platz, so rutschen wir auf 22 ab, was sich aus der Summe der Einzelpunkte ergibt.

Ihr hattet als Team Bielefeld 423 Punkte gesammelt.

Es ist ein sehr transparentes Modell, wo man genau sehen kann, wie wir das Jahr über abgeschnitten haben. Wenn man überlegt, mit Bielefeld auf 17 zu sein, ist das schon gut. Aber mein Ziel ist es, sich unter den Top-Ten zu etablieren. Wenn wir dort stünden, bekämen wir mehr Turniere, und es ist einfacher, sich zu halten. Zu den Teams zu gehören, mit denen man bei jedem FIBA-Turnier rechnen kann, ist mein Ansporn. In den vergangen zwei Jahren haben wir hineingeschnuppert und kratzen daran. Man kennt uns, wir sind nicht mehr die Neuen, die unterschätzt werden. Wir wissen mittlerweile, wie es funktioniert und wo es hingehen soll.

Für die Außendarstellung ist der Name Düsseldorf besser als Bielefeld?

Das Ding ist, dass sich Düsseldorf als Sportstadt für Olympia 2024 beworben hat. Es gibt acht Sportarten, die gefördert werden. Wir sind da mit dabei.

„Jeder Spieler hat beim 3×3 mehr mit dem Ball zu tun und muss alles machen. Das ist gerade für Kinder und Jugendliche ein enormer Pluspunkt“

Der TSVE ist ja Deine Basis. Wie siehst Du die Jugendarbeit im größten Bielefelder Verein, der den Schwerpunkt klar auf den 3×3 gelegt hat?

Jeder Spieler hat beim 3×3 mehr mit dem Ball zu tun und muss alles machen, lernt offensiv Eins-gegen-Eins zu spielen und zu verteidigen. Das ist gerade für Kinder und Jugendliche ein enormer Pluspunkt. Wenn Du beim Fünf-gegen-Fünf ein, zwei sehr gute Spieler hast, hemmt das die anderen in der Entwicklung, weil sie nie den Ball bekommen. Als junger Spieler hast Du heutzutage dann vielleicht keine Lust mehr, gehst nach Hause und kommst nicht mehr wieder. Somit kann 3×3 helfen, dass mehr junge Leute Bock haben, zu zocken.

Welche Folgen hätte ein deutschlandweiter 3×3-Boom nach Corona für Euch?

Es ist natürlich eine zweiteilige Geschichte für uns. Denn in Zukunft wird es mehr gute 3×3-Spieler geben. Als ich jünger war, kannte ich 3×3 nicht. Wäre es anders gewesen, hätte ich noch früher einsteigen können. Andererseits ist es für Leute, die unbedingt Fünf-gegen-Fünf spielen wollen, natürlich dann auch schade, wenn der Verein den Schwerpunkt anders setzt. Aber wenn Du eine Sache erfolgreich machen willst, ist es sehr schwierig, in einem kleineren Verein beides professionell zu betreiben – da fehlt dann die Man-Power und das Geld.

Wie wertest Du den TSVE-Weg im 3×3 für Bielefeld und für Dich selbst?

Mich freut es sehr, dass der TSVE diesen Weg geht. Ich liebe 3×3 und würde aus meiner heutigen Sicht Fünf-gegen-Fünf nur noch als Hobby spielen und nicht mehr professionell, wie ich es in Herford zeitweise getan habe. Für mich war es einfach das Beste, was passieren konnte. Mich würde es freuen, wenn viele junge Spieler ähnliche Erfahrungen sammeln. Der TSVE hat sich nun als quasi erster etwas größerer Verein dafür entschieden. Und ich denke, dass sich Bielefeld langfristig als 3×3-Standort in Deutschland etablieren wird.