The Most Sexiest Team of the World
Die deutsche Männer-Nationalmannschaft schreibt mit dem WM-Titel Geschichte und emanzipiert sich endgültig. Ein Kommentar von Manuel Baraniak.
Es kommt nicht so häufig vor, dass sich der Trainer des Verlierer-Teams eines Weltmeisterschaft-Endspiels innerlich auch etwas freut. Doch genau das tat Svetislav Pesic, Nationaltrainer von Serbien, nach der 77:83-Niederlage seiner Mannschaft gegen Deutschland am Sonntagabend in Manila.
„Wenn eine Mannschaft von Anfang bis Ende alle Spiele gewinnt, kann man nur gratulieren. Sie haben exzellenten Basketball gespielt. Ich freue mich für Coach [Gordon Herbert], ich freue mich für den gesamten Verband“, erklärte Pesic in seinem Eröffnungsstatement auf der Pressekonferenz. Pesic trage, so machte er später deutlich, immer noch einen Teil Basketball-Deutschland in sich.
1993 hatte Svetislav Pesic die DBB-Auswahl als Bundestrainer überraschend zum Europameistertitel geführt, 30 Jahre lang die einzige Goldmedaille einer deutschen Nationalmannschaft. Pesic sei mit dieser Truppe von 1993 verbunden, machte der 74-jährige Altmeister klar, „aber was die deutsche Nationalmannschaft jetzt hat, hat sie in der Geschichte zuvor noch nie gehabt: so viele exzellente Spieler, nicht nur die in der NBA, sondern auch die in Europa“, stellte Pesic klar.
Der Weltmeistertitel dieser goldenen Generation bedeutet die endgültige Emanzipation von anderen, von der Ära um Dirk Nowitzki, deren Nationalmannschaften WM-Bronze, EM-Silber und eine Olympia-Teilnahme auf ihrer Seite haben. „Wir haben Geschichte geschrieben“, ordnete Dennis Schröder den Titel ein. „Natürlich ist Dirk Nowitzki einer der besten Vierer aller Zeiten, er hat das Spiel verändert und ist NBA-Champ. […] Aber das zu übertreffen, ist für den Verband, für jeden einzelnen Spieler einfach nur großartig.“
„Dirk war damals, Dennis ist jetzt“
Und das verdient Respekt. Respekt, den Dennis Schröder für das Team, aber auch vor allem für sich persönlich nun einfordert, wurde er in den vergangenen Jahren für seine Spielweise häufig kritisiert. Eine Spielweise, die aber auch auf einer Einstellung fußt, ohne die es der Point Guard nie zu einem NBA-Spieler von nunmehr zehn Karrierejahren geschafft hätte. „Dennis hat seine eigene Identität kreiert, er hat eine WM gewonnen“, brachte es Gordon Herbert auf den Punkt. „Es ist Zeit, dass wir ihm 100 Prozent Respekt geben. Dirk war damals, Dennis ist jetzt. Dennis hat übernommen.“
Wie Schröder nach dem – für seine Wurfauswahl in einem einzelnen Spiel zu sehr kritisierten – 4/26-Auftritt gegen Lettland zurückkam, in reifer und ruhiger Manier (wie bei seinen 17 Punkten, neun Assists bei keinem Ballverlust im Halbfinale gegen die USA), aber gleichzeitig dann auch selbstbewusster und skillhafter Art (wie bei seinen 28 Punkten samt Dagger-Layup im Finale gegen Serbien), zementiert seinen Status als einer der besten FIBA-Guards überhaupt. Und mit dem WM-Titel machte Schröder bei Magenta Sport auch hinsichtlich seiner Kritiker deutlich: „Ich will nichts mehr über meinen Namen hören.“
Von Teamkollegen als „Kopf der Schlange“ bezeichnet, war Schröder aber nie der Alleinunterhalter, was ebenfalls die Emanzipation – und damit auch die Evolution des deutschen Basketballs – unterstreicht. Das DBB-Team verkörperte mehr eine Hydra: Schlug man einen Kopf ab, wuchs ein anderer nach. Denn so viele verschiedene Spieler setzten auf dem ungeschlagenen Weg zu WM-Gold an unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Art – von Shotmaking und Kreativität, über Hustle und Energie zu Help-Defense und Passspiel – Impulse.
Goldene Generation: mehr Klasse als Kampf
Schon allein der Sieg gegen die USA verdeutlicht die Tiefe des Kaders, die Qualität der Rotation, die Variabilität dieser Generation. Der 113:111-Erfolg über das US-amerikanische basierte weniger auf Kampf, als auf Klasse. Das DBB-Team bezwang die USA einfach (wobei „einfach“ hier vielleicht das falsche Wort ist), weil es offensiv über 40 Minuten mehr Skills auf das Feld brachte, offensiv mehr Firepower hatte, von Spielern mit so viel Signature-Move-Potential.
Dass die DBB-Auswahl ein Medaillenkandidat bei einer Weltmeisterschaft gewesen ist, war an sich, verfolgt man die Schritte in den vergangenen Jahren, eigentlich keine Überraschung mehr, sondern eine realistische Einschätzung – vielmehr ist genau das die Überraschung.
Was den WM-Titel auch besonders macht? Zum einen ist WM-Gold 2023 eben kein One Hit Wonder. Das hat das EM-Bronze-Jahr bereits angedeutet. Dieses Team ist qualitativ wie quantitativ so gut, in der Zusammensetzung und Rollenverteilung so klar definiert und zusammengewachsen, dass das DBB-Team auch bei den Olympischen Spielen im kommenden Jahr ein Medaillenkandidat sein wird. Mehr noch: Vom WM-Kader sind nur fünf Spieler Anfang 30 (mit Niels Giffey, Daniel Theis, Johannes Voigtmann, Maodo Lo und bald Dennis Schröder), einen Olympischen Zyklus sollte diese goldene Generation also noch in sich haben.
Zum anderen: Es kommt einiges nach. Ist mit Franz Wagner nicht nur der Co-Star und kommende Anführer mit 22 Jahren der jüngste Spieler des WM-Kaders gewesen, hat der männliche Nachwuchs für das beste Abschneiden der drei U-Teams überhaupt gesorgt. Blickt man zudem auf den weiblichen Nachwuchs als auch vor allem auf die Frauen-Nationalmannschaft, die 2023 das zweitbeste Abschneiden überhaupt einfuhr und denen mit einer EM-Vorrunde 2025 und der Heim-WM 2026 ein größerer Fokus zuteil werden wird, lässt sich sagen: Der deutsche Basketball ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Und hat den endgültigen Gipfel vermutlich noch nicht mal erklommen.
Nach dem Gewinn der EM-Bronzemedaille im vergangenen Jahr hatte Dennis Schröder klargestellt: „Wir haben den deutschen Basketball wieder sexy gemacht.“ Nach dem Halbfinaleinzug bei der diesjährigen Weltmeisterschaft knüpfte Moritz Wagner daran mit den Worten an: „German basketball is mad sexy.“ Mit WM-Gold lässt sich nun konstatieren (haben es manche doch auch nicht so mit dem Begriff des „World Champion“): Die deutsche Nationalmannschaft trägt auch den Titel „The Most Sexiest Team of the World“.