Marc Gasol: „Kawhi ist lautstärker als viele denken“
Nach der 2-1-Führung seiner Toronto Raptors in den NBA Finals haben wir exklusiv mit Marc Gasol gesprochen. Der spanische Center outet sich als Handy-Muffel, berichtet über besonderen Besuch aus Memphis und verrät, wie Kawhi Leonard wirklich tickt.
basketball.de: Marc, mit dir und Serge Ibaka könnte ein spanisches Duo den NBA-Titel gewinnen. Bekommst du etwas davon mit, wie groß die Euphorie in deiner Heimat ist?
Marc Gasol: Ganz ehrlich, ich bekomme überhaupt nichts mit. (lacht) Ich habe ein simples Handy, auf dem ich nur WhatsApp installiert habe, um mit meiner Familie zu schreiben. Ansonsten sind auf meinem Handy kaum Apps zu finden.
Nicht mal Instagram oder Twitter?
Die sozialen Medien sind nicht meine Welt. Von daher bekomme ich von der Berichterstattung in Spanien nichts mit. Und das auch ganz bewusst, um mich voll auf den Moment zu fokussieren.
Und dieser Moment, in den NBA Finals zu stehen, ist ein ganz besonderer – vielleicht sogar der größte in deiner Karriere?
Gute Frage, ich weiß es nicht genau. Es fällt mir momentan schwer, direkte Vergleiche zu ziehen, zum Beispiel zu wichtigen Spielen im Nationaldress. Das kann ich wahrscheinlich erst später einordnen. Aber klar ist: In dieser besonderen Situation zu sein, um den NBA-Titel spielen zu können, macht mir riesigen Spaß.
Spaß, aber auch Druck?
Ach, nein. Ich habe ja schon ein paar Jahre auf dem Buckel (Gasol ist 34 und spielt seit elf Jahren in der NBA, Red.). Ich weiß, dass meine Karriere nicht mehr ewig lange dauern wird. Deshalb ist es für mich die Zeit, diese Momente einfach nur zu genießen und jeden Augenblick aufzusaugen.
„Grizzlies-Fans sind wegen mir nach Toronto gereist – das ging mir unter die Haut“
Erst im Februar bist du getradet worden: von den Memphis Grizzlies, einem der aktuellen Verlierer-Teams der Liga, zum Titelkandidaten Toronto. Eine schwierige Situation für dich – oder die Chance deines Lebens?
Natürlich eine riesige Chance, aber gleichzeitig ein großer Einschnitt. Ab 2008 habe ich mehr als zehn Jahre für die Grizzlies gespielt. Ich habe versucht, die Franchise anzuführen und ihr ein Stück weit ein Gesicht zu geben. Memphis zu verlassen, war nicht leicht.
Über die sozialen Medien haben dir die Grizzlies sogar Glück gewünscht für die Finals …
Zumindest das habe ich erfahren. (lacht) Und es hat mich sehr gefreut. Während der Conference Finals gegen Milwaukee ist eine Gruppe von Grizzlies-Fans sogar extra nach Toronto gereist, um mich vor Ort zu unterstützen. Sie sind nicht wegen den Playoffs gekommen, nicht wegen den Raptors – sondern wegen mir. Das ging mir unter die Haut. Das hat mir gezeigt, dass ich in Memphis nicht alles falsch gemacht habe.
Als du dann zu den Raptors gekommen bist, hat dich Superstar Kawhi Leonard besonders unterstützt, damit du dich so schnell wie möglich akklimatisieren kannst?
Nein, das war nicht der Fall – bzw. das war gar nicht nötig. Wenn du Profisportler bist und dich in diesem Business ein wenig auskennst, weißt du genau, dass solche Trades immer möglich sind. Sowohl Kawhi als auch mir ist bewusst, dass wir jetzt eine besondere Gelegenheit haben, etwas Außergewöhnliches zu erreichen. Diese Chance wollen wir unbedingt nutzen. Bei meiner Ankunft war es nicht notwendig, irgendwelche sentimentalen Worte zu verlieren.
Leonard gilt als sehr introvertierter Spieler, der nicht wirklich zu durchblicken scheint. Wie kommst du mit ihm zurecht?
Im Vergleich zu dem Bild, das von Kawhi oft gezeichnet wird, ist er ein ganz anderer Typ. Wenn wir unter uns sind, wird er seiner Führungsrolle in jedem Fall gerecht. Er äußert seine Meinungen deutlich lautstärker als viele denken.
Dein Bruder Pau Gasol hat die Meisterschaft 2009 und 2010 mit den Los Angeles Lakers gewonnen. Hast du mit ihm über die Finals gesprochen?
Nein, darüber nicht. Im Prinzip geht es auch jetzt nur um Basketball – jener Sport, den ich mein ganzes Leben lang betreibe. Daher versuche ich nun beispielsweise, keine Gewohnheiten zu ändern und mich nicht verrückt machen zu lassen.
Nach den NBA Finals ist vor der Weltmeisterschaft. Werden wir dich Ende August/Anfang September beim Turnier in China sein?
Das ist in jedem Fall mein Ziel. Sofern ich fit bleibe, will ich unbedingt in China spielen. Doch zuvor gilt: voller Fokus auf die Finals!