Der Mythos Michael Jordan
Der Hunger nach Erfolg
Michael Jordan wird am 17. Februar 1963 im New Yorker Stadtteil Brooklyn im Cumberland Hospital geboren. Beinahe hätte das menschliche Basketballwunder nicht das Licht der Welt erblickt, denn Mutter Deloris drohte im Herbst 1962 eine Fehlgeburt, weil sie der Tod ihrer eigenen Mutter innerlich zermürbte. Nach einer Woche Bettruhe war das Schlimmste überstanden, der Sprössling war nicht weiter in Gefahr.
Seine Jugend verbringt Mike, wie er von klein auf genannt wird, aber nicht im hart umkämpften Alltag mit Drogen, Gewalt und Kriminalität. Als er sieben Jahre alt ist, verlässt die Familie Jordan die Metropole am Hudson River und zieht in den Süden. Gemeinsam mit seinen Eltern James und Deloris sowie vier Geschwistern wächst Michael im beschaulichen Küstenort Wilmington im US-Bundesstaat North Carolina auf. Obwohl Anfang der 1970er Jahre der Rassismus in den Südstaaten weiterhin unterschwellig zu spüren ist, tun Mikes Eltern alles, um ihre Kinder zu guten und toleranten Menschen zu erziehen. So wundert es kaum, dass Jordan Junior Äußerlichkeiten keinen großen Wert beimisst, sondern sich in der Kindheit auch mit weißen Kindern der Nachbarschaft anfreundet und mit ihnen spielt.
Der sportbegeisterte Michael entwickelt früh eine Leidenschaft für Baseball. Mit zwölf Jahren gewinnt er die Auszeichnungen als „Mr. Baseball“ der „Dixie Youth Basketball Association“. Seine Verbissenheit für den Wettkampf beginnt zu keimen. Den Basketballsport entdeckt er erst im Alter von elf Jahren, als er zu Weihnachten einen Ball geschenkt bekommt. Fortan duellieren sich Michael und Larry auf der vom Vater gebauten Korbanlage im Garten des Hauses. Die Spiele enden nicht selten in Raufereien, denn es ist Michaels älterer Bruder, der stets den Sieg davon trägt.
Mikes Liebe und der unbändige Siegeswillen wachsen von Tag zu Tag und mit jeder neuen Herausforderung. Nach Auszeichnungen im Football (als Quarterback) und Basketball an der Trask Middle School im Juni 1977 wechselt Mike an die Laney High School. Damals weiß niemand, dass die Sporthalle einmal seinen Namen tragen wird, vor allem nicht, als eine tiefe Enttäuschung in der zehnten Klasse folgt.
Obwohl er von seinen Coaches Talent bescheinigt bekommt, schafft er nicht den Sprung in die Auswahlmannschaft im Herbst 1978. Stattdessen erhält Leroy Smith einen Platz im Team. Ein Jahr lang arbeitet Jordan hart an seinem Spiel. Sein Geist ist stets stärker als sein Körper. „Immer wenn ich müde wurde und eigentlich aufhören sollte, schloss ich die Augen und sah die Liste in der Umkleidekabine, auf der mein Name fehlte“, berichtet Jordan über sein damals loderndes Feuer. „Das brachte mich wieder in Fahrt.“
Dieser Funke ist es, der den damals 15-Jährigen dazu bewegt, unermüdlich zu brennen und damit zur Ikone einer ganzen Generation zu werden. Eine Saison später steht Jordan dann im Team der Laney High und führt seine Schule zur Landesmeisterschaft. Dank seines verbesserten Spiels sowie eines Wachstumsschubs von über zehn Zentimetern legt Jordan in seinen letzten beiden High School-Jahren durchschnittlich 25 Punkte pro Begegnung auf; als Senior gelingt ihm sogar ein Triple Double über die gesamte Saison hinweg (29,2 PpG, 11,6 RpG, 10,1 ApG) – das erste überhaupt in der Schulgeschichte. Beim McDonald’s All-American High School Game in Wichita, Kansas, führt er seine Mannschaft mit 30 Zählern, inklusive zwei entscheidenden Freiwürfen elf Sekunden vor Schluss, zum 96:95-Erfolg und gewinnt daraufhin den MVP-Award.
Im beschaulichen Wilmington sind in Jordans Jugendjahren nur wenige Talentspäher angesehener Hochschulen zugegen. Die großen Talentschmieden suchen andernorts nach neuen Kräften. Jordans Anschreiben an die renommierte UCLA in Kalifornien wird abgelehnt, und so entschließt Michael sich, nach Chapel Hill zu wechseln. An der University of North Carolina (UNC) soll Jordan zwei Jahre später die gesamte Basketballwelt auf sich aufmerksam machen.
Doch beinahe wäre es nicht dazu gekommen, dass MJ das hellblaue Trikot der Tar Heels überstreift. Als begeisterter Anhänger von Überflieger David Thompson, der die North Carolina State University besucht hatte und später in der ABA (American Basketball Association) und NBA für Highlights sorgte, spielte Jordan mit dem Gedanken, es ihm gleich zu tun. Exakt aus diesem Grund wählt Jordan sein Jugendidol gut 30 Jahre später aus, um ihm selbst die Pforte in die Hall of Fame zu öffnen. „Sie nannten mich später den Michael Jordan vor Michael Jordan“, lässt der als „Skywalker“ in die Basketballgeschichte eingegangene Athlet verlauten. „Ich habe viel von meiner Spielweise in der von Michael Jordan wieder entdeckt.“ Jordan selbst erklärt in seiner 1998 erschienenen Autobiographie „For the Love of the Game“: „Ohne Julius Erving, David Thompson, Walter Davis und Elgin Baylor hätte es keinen Michael Jordan gegeben.“ Trotzdem wechselt MJ nicht an die NC State University.
Vielmehr fruchtet die Überzeugungsarbeit der UNC-Coaches Dean Smith und Roy Williams beim renommierten Five-Star Basketball Camp, der familiäre Zusammenhalt, das Spielsystem und die beiden Stars der Tar Heels (James Worthy, Sam Perkins) sind ausschlaggebend für Jordans Entschluss. Im November 1980 unterschreibt MJ eine Absichtserklärung, um an der UNC zu studieren – und auf Korbjagd zu gehen.
Jordans Treffer entscheidet College-Meisterschaft
Coach Dean Smith gilt nicht gerade als Liebhaber von Nachwuchskräften. Als Michael Jordan 1981 das Stipendium an der North Carolina University annimmt, hat er das große Glück, als vierter Freshman überhaupt unter Smith als Starter aufzulaufen. Im ersten Unijahr ist MJ strebsam in seinem Studienfach Geografie, auf dem Parkett teilen sich Worthy und Perkins das Rampenlicht.
Das Spotlight der nationalen Scheinwerfer bleibt allerdings nach dem 29. März 1982 ständig auf Jordan gerichtet. Es ist der Tag des NCAA-Finales gegen die favorisierten Georgetown Hoyas mit der späteren Center-Legende Patrick Ewing. 61.612 Zuschauer im Louisiana Superdome in New Orleans werden Zeugen eines dramatischen Spiels. James Worthy dominiert mit 28 Punkten und erhält nach der Partie zurecht die Auszeichnung als Most Outstanding Player. Doch es ist der noch unbekannte Shooting Guard mit der Nummer 23 – im Finale erzielt Jordan 16 Punkte und neun Rebounds –, der 17 Sekunden vor Spielende einen Wurf aus der Halbdistanz zum 63:62 trifft. Es ist der spielentscheidende Sprungwurf, der für die Tar Heels den zweiten NCAA-Titelgewinn überhaupt (nach 1957) bedeutet.
Individuelle Klasse und Olympisches Gold
Jordans Weg führt nach dem Treffer im Finale 1982 weiter steil nach oben. Nachdem Worthyim NBA Draft von den Los Angeles Lakers an erster Stelle gewählt wird, entwickelt sich das mittlerweile 1,98 Meter große Kraftpaket zum uneingeschränkten Führungsspieler im System von Coach Smith. Jordan begeistert, dominiert aber nicht. Teamerfolge bleiben zwar in den folgenden beiden Jahren aus, dafür kommt immer stärker das Jahrhunderttalent zum Vorschein, das in Jordan schlummert.
Die mannschaftsdienliche Spielweise der Hellblauen lastet jedoch wie eiserne Ketten auf dem explosiven Jung-Star; Smith hält ihn an der Leine, obwohl er in den nächsten beiden Jahren jeweils zum Sporting News College Player of the Year ausgezeichnet wird und zusätzlich 1984 fünf Awards als bester Spieler erhält. Im NCAA-Turnier, in das UNC an erster (1983) bzw. zweiter (1984) Stelle der Setzliste startet, scheiden sie im Achtel- bzw. Viertelfinale aus. Michael Jordans Titelgewinn als Freshman bleibt der einzige Teamerfolg am College. Nach durchschnittlich 17,7 Punkten (54% FG), 5,0 Rebounds und 1,7 Steals in 101 Spielen schließt das College-Kapitel im Jordan-Epos.
Bevor der 21-Jährige Überflieger den Schritt in die Profiliga NBA – die Chicago Bulls wählen ihn am 19. Juni 1984 an dritter Stelle hinter Akeem Olajuwon (Houston Rockets) und Sam Bowie (Portland Trail Blazers) – wagt, stehen für ihn die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles im Terminkalender. Als Co-Captain führt Jordan das Team USA nicht nur ungeschlagen (neun Siege, u.a. gegen NBA-Auswahlteams) durch die Vorbereitung, sondern auch mühelos (acht Siege ohne Niederlage) durch das olympische Basketballturnier. Head Coach Bob Knight (Indiana University) sieht mit an, wie sein Team die Gegner mit durchschnittlichen 32,2 Punkten Vorsprung abfrühstückt und keiner Mannschaft gegen die US-Boys mehr als 68 Zähler gelingen. Jordan selbst brilliert als bester Korbjäger (17,1 PpG) in einer Mannschaft neben späteren Superstars wie Ewing oder Chris Mullin.
Der kometenhafte Aufstieg des charismatischen Youngsters ist nicht aufzuhalten. Kann aber ein herausragender Einzelkönner in einem Mannschaftssport auf höchster Ebene bestehen? Kann Michael Jordan die Trendwende bei den Chicago Bulls einleiten?