Darum ist Luke Sikma der MVP
Luke Sikmas Spiel ist sik (sic!). Der Big Man flirtet mit Triple-Doubles, schüttelt Zauberpässe aus dem Handgelenk und ist die zentrale Figur in Aítos System in Berlin. Und deswegen auf MVP-Kurs.
„Luuuuuuuke“ müsste es in dieser Saison eigentlich häufig durch die Berliner Arena raunen. Wann immer Luke Sikma den Ball am High- oder Low-Post erhält. Denn häufig schüttelt der Power Forward von ALBA BERLIN dann einen Zauberpass aus dem Handgelenk: knapp am Kopf des Gegners vorbei, per Bodenpass für einen Backdoor-Cutter, per Kickout-Anspiel für einen Schützen oder mit einem No-Look unter den Korb.
Vor allem mit seinen Assists hat sich Sikma in das kollektive Gedächtnis der easyCredit BBL gespielt (siehe das nachfolgende Video). 4,1 direkte Korbvorlagen sind für einen Big Man der BBL in dieser Saison unerreicht. Sikma führt die Berliner in dieser Kategorie an und rangiert ligaweit auf dem 16. Platz – und das als 2,03-Meter-Mann noch vor Starting-Point-Guards wie Kerron Johnson, Daniel Schmidt, Per Günther, Cliff Hammonds, James Robinson oder Josh Mayo.
Das liegt vor allem an Sikmas Spielintelligenz, aber auch am System von Head Coach Aíto. Denn die Albatrosse bewegen sich in einer Motion Offense ohne starre Routen, sondern vielmehr in spontanen Rotationen. Und gerade in einem solchen System sind intelligente Spieler wie Sikma gefragt. Im Grunde mag eine solche Offensive anspruchsvoller sein, da die Akteure selbst das Spiel lesen und Entscheidungen treffen müssen.
Sikma mimt mit seinen Highlight-Assists keinen Schönwetterspieler, sondern dürfte sich auch auf dem Streetballbetonplatz wohl fühlen. Denn Sikma hustlet. Ob an den Brettern, in der Help-Defense oder für die Lose Balls: Der 28-Jährige vereint Ästhetik und Einsatz. Und ist gerade deshalb so wertvoll – und auch vielseitig. Das verdeutlichen seine Statistiken von durchschnittlich 11,7 Punkten, 7,4 Rebounds (5. ligaweit), 4,1 Assists (16.) und 1,7 Steals (5.).
Momentum: der Dreier fällt
So komplett Sikmas Spiel scheint, eine Schwachstelle hatte man zu Saisonbeginn ausmachen können: den Dreier. In seinen ersten 20 Pflichtspielen 2017/18 traf der Power Forward nur vier seiner 21 Versuche (19,0% 3FG). Im postmodernen Basketball, in dem jeder Vierer für Spacing sorgen soll, eigentlich ein Unding. Gerade, weil sein Big-Man-Partner Dennis Clifford noch weniger den Sprungwurf von außen im Repertoire hat.
Doch Sikma hat seinen Touch von außen mittlerweile gefunden, auch wenn man ihn nicht als Stretch-Vierer klassifizieren wird. In seinen vergangenen 16 Pflichtspielen traf der Big Man 19 seiner 38 Dreier (50,0% 3FG). Fällt sein Distanzwurf konstant, macht das Sikmas Spiel – und damit auch das der Berliner – noch unberechenbarer.
Offensive: mit Hirn und Hintern
Unberechenbar tritt Sikma auch selbst in der Offensive auf. Denn der 28-Jährige agiert ungemein gedankenschnell. Tut er dies im Schnellangriff, hat die gegnerische Verteidigung kaum Zeit, sich zu positionieren – und die Berliner waren schon mit einfachen Punkten zur Stelle.
74,2 Possessions generieren die Berliner pro Spiel und rangieren damit hinter Gießen und dem MBC auf dem dritten Platz. Zum Vergleich: Im letzten Jahr unter Sasa Obradovic 2015/16 waren die Berliner mit 72,1 Possessions Viertletzter!
Gehen die Berliner in den Halbfeldangriff über, bekommt Sikma den Ball häufig im High- oder Low-Post. Und auch an der Dreierlinie, wo Sikma die Offensive initiiert – wie folgendes Video zeigt. Sikma dribbelt dabei gerne Richtung Ballhandler, womit die Defense einen Hand-Off erwartet – nur um dann den Bodenpass aus dem Handgelenk zu schütteln.
Interessant in der letzten Szene gegen Bamberg: Sikma streckt seine Hintern kurz heraus, als Nikos Zisis am Ballführer Peyton Siva dranbleiben will. Das macht Sikma häufiger und verschafft seinem Mitspieler nach dem Pass und vor dem Cut einen kleinen Vorsprung – wie die folgenden Aktionen veranschaulichen.
Sikma setzt seinen Hintern auch im Pick-and-Roll ein: Mitunter stellt er einen Block für den Ballführer nicht mit der Brust am Gegner, sondern mit dem Rücken. Somit kann Sikma schneller abrollen und hat den Korb sowie das Spielgeschehen gleich im Blick.
Die letzte Aktion gegen den MBC zeigt: Sikma scheint den Blick auch in die Zukunft richten zu können. Denn der Big Man spielt mitunter Pässe in den Raum, ehe sich dorthin seine Mitspieler bewegt haben.
Das kann man vor allem beobachten, wenn auf der Weakside eine Distanzschütze wie Spencer Butterfield ballferne Blöcke nutzt. Vor allem die letzte Szene im folgenden Video illustriert Sikmas Passgenauigkeit – wie knapp der Big Man den Assist hinter den Rücken des off-Ball-Screeners Dennis Clifford spielt… Luke Sikma bewegt sich in seinem eigenen Raum-Zeit-Kontinuum.
Defensive: Antizipation
Sikma antizipiert das Spiel – auch in der Verteidigung. Im Top-Duell gegen Bamberg Anfang Februar zeigt dies Sikma beispielsweise in der Help-Defense: Zweimal rotiert er zu einem Bamberger, um so den Dreier bzw. Drive zu vereiteln. Kurz darauf steht er wieder bei seinem Gegenspieler und verzeichnet den Ballgewinn.
Was man gegen Bamberg ebenfalls beobachten konnte: Sikma bewegt sich schnell genug, um aggressiv das gegnerische Pick-and-Roll zu verteidigen. In folgender Aktion trappt er zusammen mit Niels Giffey Bambergs Ballhandler Daniel Hackett, das aggressive Doppeln zwingt Hackett weit weg vom Korb – und forciert den Ballverlust.
Teilweise überwältig Sikma mit seiner Verteidigung den Gegner. Überfallartig rotiert er, verhindert das Anspiel oder versperrt den Zug zum Korb, wie in folgender Aktion gegen Braunschweig. Als Help-Verteidiger ahnt Sikma, dass DeAndre Lansdowne aus dem Pick-and-Roll über die Spielfeldmitte ziehen wird und erzwingt den Turnover.
Ausblick: Most Valuable Passes
Ein Double-Double im Top-Spiel gegen Bamberg (17 Pkt, 10 Reb), beinahe ein Triple-Double im Do-or-Die um den Top-Four-Einzug gegen Ludwigsburg (10 Pkt, 7 Reb, 9 Ast) – die Antwort auf alle Fragen? Nicht 42, sondern 43! Sikma beweist seine Bedeutung auch in wichtigen Spielen. Ein Grund mehr, ihn in der MVP-Diskussion ganz vorne zu führen.
In der Vergangenheit wurden bei der Wahl zum wertvollsten Spieler oftmals starke Scorer berücksichtigt. Ein Akteur mit einem Punkteschnitt von 11,7 Zählern mag bei manch einem herunterfallen. Doch Sikma hat im System Berlins längst bewiesen, wie essentiell er mit seiner Spielintelligenz ist und wie sehr er über den bloßen Assist das Spiel beeinflusst. Sollte Sikma nicht die Auszeichnung zum wertvollsten Spieler einheimsen, so sollte man die Bedeutung von „MVP“ zumindest umschreiben: in Most Valuable Passes.
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