Ariel Hukporti: Über Litauen in die NBA?
Ariel Hukporti wechselte im vergangenen Sommer von Ludwigsburg nach Litauen – für viele überraschend. Warum macht das Engagement bei Nevežis Sinn? Wie schlägt sich der Center dort? Und warum attestiert ihm sein Trainer David Gale NBA All-Star-Potential?
Ariel Hukporti hat sich in den letzten Jahren als NBA-Talent etabliert. Erst recht, nachdem er im Frühjahr 2020 zum wertvollsten Spieler des prestigeträchtigen „Basketball without Borders“-Camp gewählt worden ist. Auch während des BBL Final-Turniers 2020 trug der 18-Jährige seinen Anteil zur ersten Vizemeisterschaft in der Geschichte der MHP RIESEN Ludwigsburg bei, obwohl er einige Spiele aufgrund wichtiger schulischer Prüfungen verpasst hatte. Doch nur wenige Tage nach Ende des Turniers war er weg.
Der Center unterschrieb einen Zweijahresvertrag bei KK Nevežis Kedainiai, die in der letzten Saison der litauischen LKL mit einer Bilanz von 6-18 den geteilten letzten Platz belegten. Ludwigsburgs Trainer John Patrick zeigte sich kritisch: „Dieser Club gehört zu der Spielerberatungsagentur von Ariels Agent. So etwas sollte eigentlich nicht erlaubt sein, aber im Basketball gibt es leider keine Regeln“, äußerte sich Patrick gegenüber der Ludwigsburger Kreiszeitung.
Ein Wechsel von einem beständigen deutschen Playoff-Team zu einem abstiegsgefährdeten litauischen Erstligisten sorgte selbstverständlich für Verwunderung. Hukporti hatte bei Ludwigsburg wertvolle Entwicklungschancen in Form von Einsatzzeit gegen hochklassige Gegner erhalten. So sammelte er beim BBL Final-Turnier zum Beispiel wichtige Erfahrung in der Pick-and-Roll-Verteidigung: eine äußerst wichtige Disziplin für moderne NBA-Center, und zeigte sich darin schon sehr kompetent für sein Alter.
Doch es gab gute Gründe für den Wechsel nach Litauen. Gründe, die über die Zugehörigkeit zur Spieleragentur Wasserman hinausgehen. Dies zeigte sich in den neun Spielen, die Hukporti seit Dezember 2020, als er von einer Verletzungspause zurückgekehrt war, in der litauischen LKL und im Pokal bestritten hat.
Wechsel zu einer (neuen) litauischen Talentschmiede
Wie bei fast allen professionellen Teams handelt es sich bei Ludwigsburg um einen erfolgsorientierten Verein. Die Spielerentwicklung ist demnach keine Priorität, und so füllte Hukporti in der BBL die Rolle aus, die dem Verein den meisten Mehrwert brachte. Dabei handelte es sich in der Offensive um eine kleine Rolle mit wenig Spielraum, sich an neuen Skills auszuprobieren – ein bekanntes Dilemma für Teenager, die zu den Profis aufsteigen.
Mit Nevežis entschied sich Hukporti für einen Verein, der seine Philosophie auf die Entwicklung von Talenten umgestellt hat. Gewinnen ist auch für Nevežis wichtig – sie wollen schließlich nicht absteigen -, aber es ist nicht die alleinige Priorität. Neben Hukporti verpflichteten die Litauer den 18-jährigen Abramo Canka, einen athletischen Flügelspieler aus Italien, der sich auch berechtigte Hoffnungen auf die NBA machen darf.
Im Dezember folgte die Verpflichtung des amtierenden „NBBL Coach of the Year“ David Gale, der Hukporti schon im Ludwigsburger Nachwuchsbereich trainiert hatte. Mit der Anstellung eines Coaches, der viel Erfahrung mit der Entwicklung junger Spieler hat, war die Marschroute klar. Auch wenn diese aufgrund der Verbindung zu Wasserman vielen Trainern von professionellen Teams wahrscheinlich sauer aufstoßen wird, sollte sie für Hukportis langfristige Entwicklung klare Vorteile bieten:
Zu nennen sind dabei vor allem die offensiven Freiheiten, die er bei Nevežis erhält. In deren System spielt Hukporti eine zentrale Rolle, wodurch er sein Talent in vielen Facetten des Spiels unter Beweis stellen kann. Hukporti zeigt sich auch in Litauen gewohnt gefährlich am Ring, wo er sowohl flache als auch hohe Pässe effizient verwertet und mit seiner Beweglichkeit im Pick-and-Roll konstant große defensive Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Hukporti erhält zudem regelmäßig Gelegenheiten im Low-Post und der Mitteldistanz, wo er interessante Ansätze zeigt. Immer mal wieder streut der Center Hakenwürfe über beide Schultern ein oder verwandelt einen Fadeaway, auch wenn er noch nicht so weit ist, dass er diese Würfe effizient verwandelt. Bisher verwertete er nur 44,7 Prozent seiner Feldwürfe und nahm zahlreiche abenteuerliche Würfe.
Kurzfristig sollte dies kein großer Grund zur Sorge sein. Entscheidungsfindung beruht nicht nur auf Spielübersicht, sondern auch auf Erfahrung, von der Hukporti noch nicht genug gesammelt hat.
Solch experimentelle Phasen sehen selten schön aus, weil der Spieler sich an Würfen/Aktionen probiert, die noch nicht zu seinem Standardrepertoire gehören. Er könnte sein Offensivspiel allerdings nicht vielseitiger gestalten, wenn er sich auf Aktionen beschränkte, die er sowieso schon beherrscht. Diese Entwicklungsstrategie zielt also auf langfristigen Erfolg ab, und ihre Wirksamkeit lässt sich erst beurteilen, wenn Hukporti den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hat. Seine Effektivität im Post sollte sich zum Beispiel steigern, sobald er im Kraftraum eines NBA-Teams weiter an seinem Körper feilen darf.
Offensive: Verbesserter Touch
Hukportis breite Schultern trügen in dieser Hinsicht. Er ist zwar für sein Alter körperlich fortgeschritten und muss sich vor langjährigen Profis nicht verstecken – Ex-NBA-Spieler Joffrey Lauvergne lernte dies auf schmerzliche Weise -, aber es besteht dennoch noch viel Steigerungspotential, vor allem im Rumpf und in den Beinen. So initiiert er zum Beispiel als Blocksteller nur selten Kontakt, wodurch viele Gelegenheiten ungenutzt bleiben.
Es ist einfach, diesen Kritikpunkt anzubringen, wenn man es nicht selber aushalten muss, wie 100 Kilogramm schwere Männer versuchen, durch einen durchzurennen. Aber dennoch wird sich Hukporti in den nächsten Jahren daran gewöhnen müssen. Ein NBA-Kraftraum würde auch seinem Sprungwurf helfen.
Dabei handelt es sich aber sowieso schon um einen stark verbesserten Teil von Hukportis offensivem Skillset. In über 100 Spielen, die Hukporti seit 2015 in deutschen Jugendligen, bei Junioreneuropameisterschaften, Adidas Next Generation Tournaments, der BBL und dem Albert-Schweitzer-Turnier absolviert hat, versenkte er 9/40 (22,5%) Versuchen von der Dreierlinie und 257/465 (55,3%) von der Freiwurflinie.
Diese Quoten ließen kein großes Wurfpotential vermuten, doch bei Nevežis hat Hukporti gezeigt, dass er durchaus den „Touch“ hat, um sich zu einem effektiven Dreierschützen zu entwickeln. So hat er seit seiner Ankunft in Litauen fünf von 14 Dreierversuchen getroffen und eine solide Wurfform gezeigt.
Die Bewegungen vom Oberkörper, den Ellenbogen und Händen sind schon bemerkenswert konstant. Dennoch gibt es Verbesserungspotential – wie zu erwarten bei jemandem, der nur wenig Erfahrung mit Sprungwürfen hat -, vor allem in Sachen Rumpfkraft. Dies wird deutlich, weil er während des Wurfes nur wenig Kontrolle über seine Beine hat, die oftmals selbstständig in der Luft pendeln.
Auch als Passgeber darf sich Hukporti in Litauen vermehrt versuchen. Die Resultate sind dabei noch wechselhaft, aber es wäre vermessen, von einem 18-Jährigen konstante Produktion zu erwarten. Er komplettierte immerhin schon einige Anspiele, die Potential andeuten:
Defensive: Potential eines starken Ringbeschützers
In der BBL-Bubble hatte sich Hukporti vor allem defensiv stark verbessert gezeigt. Im Laufe der letzten Jahre hat er gelernt, seine körperlichen Voraussetzungen gewinnbringend einzusetzen. Eine beeindruckende Entwicklung, wenn man bedenkt, dass dies vielen Spielern nie gelingt. Auch in Litauen hat er sich schon als starke Präsenz unter dem Korb erwiesen, wo er mit seiner Größe, Sprungkraft und Länge viele Würfe beeinflusst bzw. blockt.
In der NBA sollte er sich mindestens zu einem überdurchschnittlichen, möglicherweise sogar zu einem sehr guten Ringbeschützer entwickeln. Sein Potential wird von weiteren athletischen Verbesserungen und mehr Erfahrung in diversen Spielsituationen abhängen.
Seine Team- und Pick-and-Roll-Verteidigung haben hingegen noch nicht das letztjährige Level erreicht: vor allem wenn es darum geht, mehrere Aktionen gleichzeitig im Auge zu behalten und auf sie zu reagieren. Dafür gibt es diverse Gründe:
Zum einen ist Spielwahrnehmung keine Konstante, sondern eine Fähigkeit, die ständiger Übung bedarf. Nach langen Pausen, in Hukportis Fall wegen der Verletzungen, dauert es immer eine Weile, bis Athleten das Spiel genauso schnell und gut lesen wie zuvor, wofür es sicherlich eine neurologische Erklärung gibt.
So fehlte vor allem in seinen ersten Spielen die Reaktionsschnelligkeit, die er im Sommer bei Ludwigsburg gezeigt hatte: besonders bei Aktionen, die er nur aus dem Augenwinkel hätte wahrnehmen können.
Auch die Teamsituation spielt dabei eine Rolle. Bei Ludwigsburg gibt es eine Kontinuität, die bei Nevežis aus mehreren Gründen noch nicht herrscht. John Patrick legt bekanntermaßen großen Wert darauf, dass seine Teams defensiv eingespielt sind. Regelmäßig gehören die MHP RIESEN zu den besten Verteidigungen der BBL (2017/18: 2. beim Defensiv-Rating; 2018/19: 4:, 2019/20: 3.). Dementsprechend fiel es Hukporti leicht(er), in einem eingespielten, erfahrenen Team seine Leistungen abzuliefern.
Nevežis ist ein junges Team mit einem neuen Coach, welches zudem mit Vaidas Kariniauskas und Vaidas Cepukaitis mitten in der Saison zwei wichtige Veteranen ziehen lassen musste. Randnotiz: Die Bilanz von Nevežis hat sich seit dem Neujahr deutlich verschlechtert, und das ist hauptsächlich auf diese Abgänge zurückzuführen. Die beiden Veteranen hatten zusammen rund 27 Punkte, 10 Rebounds und 8 Assists pro Spiel aufgelegt. und sie wurden bislang nicht adäquat ersetzt.
Zum einen bedeutet dies, dass die Spieler noch nicht aufeinander abgestimmt sind und ihnen dementsprechend viele Fehler unterlaufen. Aber zum anderen heißt es auch, dass sie im Laufe der Saison klare Fortschritte machen sollten. Hukporti hat davon in den letzten Spielen gegen Žalgiris Kaunas und BC Rytas schon erste Ansätze gezeigt; aber es wird vermutlich noch mehrere Wochen dauern, bis Hukporti in diesem Bereich seine Höchstleistungen abliefern wird. Je besser diese aussehen, desto mehr sollte auch sein Draft-Stock steigen.
David Gale: Hukporti mit All-Star-Potential
Das Potential zu einem sehr guten NBA-Spieler hat Hukporti allemal. Head Coach David Gale attestierte Hukporti in einem Interview mit der LKL vor einigen Wochen sogar All-Star-Potential. Die defensiven Aufgaben des modernen NBA-Centers sind deutlich breiter gefächert als früher: Er muss nicht nur den Korb beschützen, sondern auch das Pick-and-Roll verteidigen und sich möglichst gegen kleinere Spieler am Perimeter behaupten. Mit seinen physischen Voraussetzungen, insbesondere der Größe, Armspannweite, Beweglichkeit und Sprungkraft wie auch seinem Spielverständnis entspricht Hukporti diesen Anforderungen.
Es gibt unzählige Center, die effektive Minuten in der NBA abliefern können. Aber nur wenige überleben in den Conference Finals, wenn Gegner jede Schwäche gnadenlos ausnutzen. Bis dahin ist es für Hukporti ein weiter Weg, aber es besteht zumindest eine Chance, dass er eines Tages zu diesem elitären Kreis gehören wird.
Gale zeigte sich in dem zuvor erwähnten Interview bemerkenswert ehrlich und realistisch und fügte hinzu, dass Hukporti seine Essgewohnheiten und Routine dem Profileben anpassen müsse, um sein Potential zu erfüllen, auch wenn er schon reifer geworden sei. Die Arbeitseinstellung wird demnach ein wichtiger Faktor in seiner Entwicklung sein.
Hukportis offensive Entwicklung wird davon abhängen, inwieweit er die Ansätze, die er gezeigt hat, in konstante Produktion ummünze kann. Wird er nie zu einem verlässlichen Schützen und/oder Self-Creator aus dem Post/vom Perimeter, bleibt ihm immerhin noch die DeAndre Jordan-Rolle als effizienter Scorer um den Korb mit niedriger Usage.
Hukporti hat aber durchaus das Potential, sich zu einem vielseitigen Offensivspieler zu entwickeln, auch wenn das noch einige Jahre in der Zukunft liegt. In vielen Mock-Drafts, wie zum Beispiel dem von ESPN und dem von Bleacher Report, liegt er im Moment am Anfang der zweiten Runde. An dieser Position würde er sich wahrscheinlich zu einem Steal entwickeln. Aber es ist gut möglich, dass er sich in den nächsten Monaten noch weiter hocharbeitet und dann in der ersten Runde gezogen wird.