Wagner-Festspiele in Köln: „Der Typ ist geisteskrank“
Gegen Litauen folgt auf die Wagner-Festspiele ein Overtime-Krimi – bei dem sich die deutsche Nationalmannschaft nach zweifacher Verlängerung mit 109:107 durchsetzt. Dabei ragt das Trio Franz Wagner, Maodo Lo, Dennis Schröder heraus.
Man muss lange zurückgehen, um ein Länderspiel bei einem großen Turnier zu finden, bei dem ein deutscher Nationalspieler derart dominiert hat. Wahrscheinlich bis zum großen Blonden, dessen Trikot seit kurzem unter der Hallendecke hängt.
Bei Franz Wagner fiel im dritten EM-Vorrundenspiel gegen Litauen vor der Pause alles. Mit Pullup-Dreiern als Ballhandler, mit unwiderstehlichen Drives, mit Fakes und Turnarounds zeigte der Flügelspieler sein ganzes Repertoire. 14 deutsche Punkte legte Wagner in Serie auf, dabei traf er jeden seiner fünf Würfe aus dem Feld. Am Ende überragte Wagner mit 32 Punkten – und das als 21-Jähriger in seinem achten A-Länderspiel.
„Das ist unglaublich. Der Typ ist geisteskrank, so muss man das einfach sagen“, fand Johannes Thiemann deutliche Worte. „Mit was für einem Selbstverständnis er spielt… Das ist wirklich beeindruckend.“ Da stimmte Maodo Lo mit ein: „Es ist beeindruckend, mit welcher Reife und Ruhe er agiert. Gleichzeitig hat er ein solches Selbstvertrauen in seinem Spiel und eine solche Aggressivität.“ Oder wie Herbert es auf den Punkt brachte: „Er hat dieses Biss in sich.“
Wagner schreckt nicht davor zurück, einen NBA-Center wie Jonas Valanciunas zu attackieren. Gleichzeitig reibt er sich auch defensiv auf und schlüpft von der Help-Side immer wieder in die Rolle des Ringbeschützers. Ein Two-Way Player eben. Zu Spielbeginn erhielt Wagner mehr Touches als noch in den ersten beiden Partien, als das deutsche Team offensiv stotternd gestartet war. Eine bewusste Entscheidung? „Wir wollten mehr Ballbewegung“, erwiderte Gordon Herbert. „Nicht speziell von einem bestimmten Spieler. Wir wollten das Feld weiter machen.“
„Wohin mein Weg auch führt, ich werde versuchen, mich Jahr für Jahr weiter zu entwickeln“
In den beiden Verlängerungen erzielte Wagner keine Punkte mehr, dafür übernahmen Dennis Schröder und Maodo Lo. Schröder erzielte zehn seiner 25 Punkte in der Extrazeit (davor sechs Zähler in der Crunchtime des vierten Viertels), per And-One rettete er sein Team in die zweite Verlängerung. Dort führte Lo mit seinen unnachahmlichen step-back-Dreiern nach litauischen Switches die DBB-Auswahl auf die Siegerstraße, den zweiten zum 109:104 bei 90 Sekunden zu spielen.
Schon nach dem Auftaktsieg gegen Frankreich hatte Schröder seinen Guard-Partner gelobt, Lo sei der nächste deutsche Spieler in der NBA. „Das ist schön zu hören und ehrt einen natürlich“, sagte Lo dazu – erklärte mit einem Lachen aber auch: „Am Ende braucht man aber ein Vertragsangebot.“ Für Lo geht es in erster Linie um die spielerische Entwicklung, einen NBA-Wechsel forcieren muss er nicht. „Wohin mein Weg auch führt, ich werde versuchen, mich Jahr für Jahr weiter zu entwickeln. Das ist mein Ziel, seitdem ich Profi geworden bin. Obwohl ich 29 Jahre alt bin, ist das kein Grund für mich, happy zu sein.“
Und die deutsche Nationalmannschaft kann sich glücklich schätzen, ein solch potentes Trio in den Reihen zu haben. Zum ersten Mal in ihrer EM-Geschichte legte bei der DBB-Auswahl ein Trio jeweils über 20 Punkte auf. „Wir hatten sehr gute individuelle Leistungen“, wusste auch Gordon Herbert. „Am Ende hast du damit ganz verschiedene Optionen“, führte Voigtmann aus.
„Wir in Basketball-Deutschland können uns glücklich schätzen, einen Dennis Schröder zu haben“
Schröder ist dabei weiterhin gewillt, die Verantwortung bewusst abzugeben – wie im vorletzten Angriff des vierten Viertels, als Schröder nach einem Ghost-Screen Wagners auf den 21-Jährigen passte und Wagner kreieren ließ. Schröder mag weiter seinen Wurfrhythmus suchen, doch nach neun Assists bei nur einem Ballverlust gegen Bosnien ließ Schröder nun gegen Litauen acht Assists bei nur zwei Ballverlusten folgen. Werte, die einen guten Point Guard auszeichnen.
„Dennis ist unserer Anführer, er ist unser Dreh- und Angelpunkt unser Mannschaft – offensiv und defensiv“, machte auch Maodo Lo deutlich. „Was mir auch durch den Kopf ging: Er ist über die Jahre immer erfahrener geworden. Das merkt man auch bei diesem Turnier: Die Kontrolle, die er beweist, im richtigen Moment zu attackieren, zu übernehmen und in der Defensive Akzente zu setzen – das macht er so gut. Dennis ist der beste Point Guard Europas. Wir in Basketball-Deutschland können uns glücklich schätzen, einen Dennis Schröder zu haben.“
Und Herbert wird sich glücklich schätzen, ein potentiell so potentes dreiköpfiges Offensivmonster zu haben. In der WM-Quali hatte der DBB-Bundestrainer Schröder und Lo noch kaum zusammen auf das Feld geschickt, dies änderte Herbert direkt zum EM-Start – was sich für das deutsche Team ausgezahlt hat (solche Lineups bei +16 in 14:44 Minuten gegen Frankreich; +10 in 9:55 Minuten gegen Bosnien; -3 in 24:16 Minuten gegen Slowenien). Und so sollten gerade Schröder, Lo und Wagner Partien beenden – und auch entscheiden.
Womit Herbert vielleicht doch kleiner gehen könnte. Im zweiten Viertel gegen Litauen schickte er bewusst eine kleine Formation mit Wagner und Giffey auf den Forward-Positionen aufs Feld, am Ende musste er auf Grund der Foul-Probleme der großen Leute (Voigtmann: „Wir haben es irgendwie durchgebracht. Am Ende hatten alle Bigs vier oder fünf Fouls, das war schon extrem.“) kleiner gehen.
Smallball? „Das macht uns noch variabler“
„Franz hat in einer Phase gezeigt, dass keiner von den beiden [Big Men Jonas Valanciunas und Domantas Sabonis] ihn verteidigen kann. So wie sie dominant innen sein können, kann Franz dominant von außen sein. Uns zeigt das auch, dass wir vielseitig sein können“, schilderte Thiemann. „Das gibt uns einen Look mehr“, fügte Voigtmann an. „Wir haben das bereits im Training etwas gespielt. Mit Franz und Niels haben wir auch Leute, die auf der Vier spielen können. Das macht uns noch variabler.“
Vielleicht erweist sich das Spiel gegen Litauen, die Foul-Probleme der großen Garde auch als Segen. Auch wenn Voigtmann erschöpft zu Protokoll gab: „Das einzige, was ich gerade gelernt habe: Wenn du fünf Spiele an sieben Tagen hast, ist eine doppelte Verlängerung nicht gut.“ Denn nun auch in einer hart umkämpften Partie klein gegangen zu sein und dabei Erfolg gehabt zu haben, dürfte Herbert eine weitere Option geben – je nach Spielverlauf, je nach Matchups, je nach Gegner.
Und Franz Wagner könnte individuell sein Offensivspiel noch stärker ausdrücken – wie Ende des zweiten Viertels. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der 21-Jährige mit einem derartigen Spektakel an die ganz großen der deutschen Basketballhistorie erinnert hat. Das denkt auch Dennis Schröder: „Wenn er so weitermacht, wird ein ganz Großer.“
Das Spiel zwischen Litauen und Deutschland war nicht nur sportlich ein Krimi, nervenaufreibend wurde es auch am Anschreibetisch – weil vergessen wurde, Litauen nach einem technischen Foul gegen die deutsche Bank einen Freiwurf zuzusprechen. Der Protest Litauens dagegen kam zu spät; und selbst, wenn er fristgerecht eingereicht worden wäre, wäre er abgelehnt worden, wie die FIBA erklärte.