Zwei Teams, ein Statement
Erstmals spielen die deutsche Frauen- und Männer-Nationalmannschaft nacheinander in einer Halle vor großer Kulisse – beiden gelingt ein erfolgreicher Olympia-Test. Ansonsten finden Lisa Thomaidis und Gordon Herbert in Berlin bei ihren Teams ganz unterschiedliche Voraussetzungen vor.
„Es wird cool, als eins dazustehen – wir sind zwar ein Frauen- und ein Männerteam, aber spielen eben beide für Deutschland.“ So hatte Marie Gülich zum Start in die Olympia-Vorbereitung Ende Juni auf den Doubleheader in Berlin am vergangenen Freitag geblickt. Bereits zwei Tage vor den beiden Testspielen gegen Nigeria bzw. Japan standen sie als eins da, die deutsche Frauen- und Männer-Nationalmannschaft – und zwar im Bundeskanzleramt.
Olaf Scholz hatte die beiden DBB-Teams empfangen, die Männer machten zuvor Halt bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, um sich das Silberne Lorbeerblatt – „die höchste staatliche Auszeichnung für sportliche Spitzenleistungen in Deutschland“, so die offizielle Bezeichnung – abzuholen. Deutscher Basketball? Mad Sexy. Oder, um in angemessenerem und aktuellem Rahmen zu schreiben: Tres chique.
„Seit Vorbereitungsstart haben wir über Berlin gesprochen und dass wir ein Statement setzen können“
Als eins dastehen, das taten beide Teams – samt der weiblichen 3×3-Mannschaft, die sich ebenso für die Olympischen Spiele qualifiziert hat – auch nach dem Doubleheader, um auf dem Parkett für Photos zu posieren. Unter gleichen Voraussetzungen liefen die beiden DBB-Mannschaften aber nicht auf: Für die Männer-Auswahl und ihrem mit NBA- und EuroLeague-Spielern gespickten Kader ist es Alltag, in einer Arena vor 10.413 Zuschauern zu spielen, dort gewannen sie vor zwei Jahren die EM-Bronzemedaille. Für die Frauen-Auswahl war es hingegen eine besondere Premiere. „Noch nie zuvor hat eine Frauen-Nationalmannschaft in dieser Arena gespielt. In so einer lauten Umgebung mit Competitiveness aufgelaufen zu sein, wird uns in die Vorbereitung helfen“, fasste es Bundestrainerin Lisa Thomaidis zusammen. „Was für ein großartiger Abend für den Frauen-Basketball in Deutschland.“
Schon lange hatte die Frauen-Auswahl auf diesen Doubleheader hingefiebert, wie Luisa Geiselsöder erklärte: „Es bedeutet uns sehr viel. Seitdem die Vorbereitung begonnen hat, haben wir über Berlin gesprochen, darüber, dass endlich mal Schwung in den Frauenbasketball kommt und dass wir ein Statement setzen können, damit die Fans in die Halle kommen und uns anfeuern.“ Das taten sie, mitunter mit „Paris, Paris, wir fahren nach Paris“-Sprechchören, nach der Partie tanzte das DBB-Team – angeführt von Geiselsöder und Alexis Peterson – vor einem feiernden deutschen Fan-Block.
Und auch sportlich waren die Voraussetzungen ganz unterschiedlich: Das Männer-Team trat in Bestbesetzung an, selbst der bis dahin angeschlagene Johannes Thiemann stand elfeinhalb Minuten auf dem Parkett. Das Frauen-Team musste hingegen auf ihre drei WNBA-Spielerinnen Leonie Fiebich, Nyara und Satou Sabally verzichten. Während die beiden Erstgenannten immerhin in zivil auf der Bank saßen, war Satou Sabally erkrankt nicht in der Halle. Erst am Morgen des Vortags waren Fiebich und Nyara Sabally in Berlin angekommen, erklärte Letztgenannte, „wir mussten uns erst akklimatisieren und haben nur ein wenig Krafttraining gemacht. Ins Teamtraining werden wir in London einsteigen, bis dahin sollte der Jetlag hoffentlich weg sein.“
Alexis Peterson und Franz Wagner nicht zu stoppen
Nyara Sabally gefiel der Auftritt ihrer Teamkolleginnen, und der ihrer neuen Mitspielerin Alexis Peterson, die erst kurz vor Vorbereitungsstart einen deutschen Pass erhalten hatte, ganz besonders: „Ihr Spiel allgemein ist sehr stabil. Das ist genau das, was wir brauchen: eine Point Guard, die den Ball nach vorne bringt, das Pick-and-Roll läuft und Ruhe ins Spiel bringt“, sagte Sabally und fügte ein schmunzelndes Understatement an: „Und ihr Scoring ist echt nicht schlecht.“
Für wahr. Peterson attackierte nach Belieben den Korb und schloss stark in Ringnähe ab, mit 22 Zählern avancierte sie zur Topscorerin und verteilte zudem acht Assists. „Alexis kann man nicht stoppen, sie kann alles: Sie ist eine mobile Spielerin, kann werfen, attackieren, passen, sie ist superschnell“, zeigte sich Geiselsöder begeistert, die von Peterson auch deswegen profitiert, weil die beiden in der vergangenen Saison zusammen beim französischen EuroLeague-Team Basket Landes spielten. „Wir haben diese Connection, ich fühle mich pudelwohl“, was sich bei der Center-Spielerin in einer starken zweiten Hälfte und letztlich in 14 Zählern sowie sieben Rebounds ausdrückte. Geiselsöder ist zusammen mit Peterson die bis dahin auffälligste DBB-Spielerin der Vorbereitung.
Auffällig agierte Peterson auch nach erfolgreichen Aktionen – mit emotionalen Jubelgesten, die „Goggles“ nach einem „behind the back“-Anspiel im Fastbreak auf Marie Gülich hier, die Dreiergeste nach einem Buzzerbeater-Dreier dort, Ausbrüche, die beim Frauen-Team eher selten sind. „Sie bringt eine sehr positive Energie in das Team und ist immer fröhlich“, sagte Thomaidis. Das konnte man auch angesichts des Spielverlaufs sein, schließlich wurde das Frauen-Team über 40 Minuten getestet, fand im vierten Viertel ihre Bigs durch High-Low-Anspiele besser und zog in der Crunchtime durch einen 17:2-Lauf davon, um sich letztlich mit 77:63 durchzusetzen.
Männer mit voller Kapelle, Frauen ohne drei WNBA-Spielerinnen
Derart gestestet wurde das deutsche Männer-Team nicht. „Wir sind rausgekommen und haben direkt mit Intensität gespielt, wir haben mehr als Mannschaft zusammengefunden“, sagte Maodo Lo, der ausgerechnet in seiner Heimatstadt sein 100. Länderspiel absolvierte. Vor allem Andi Obst, der seine ersten vier Dreier versenkte, und Franz Wagner, der beim Drive nicht zu stoppen war – also das Pendant zu Peterson – und bei dem endlich der Knoten von außen platzte, übernahmen in der Offensive. 25 der ersten 50 Punkte gingen auf ihr Konto, zu diesem Zeitpunkt hatte das deutsche Team doppelt so viele Punkte markiert (50:25 nach 18 Minuten), zeitweise setzten sie sich auf 36 Zähler Differenz ab. Wagner benötigte für seine 27 Zähler (11/16 FG) gerade mal 20 Minuten.
Nach der Pause ließ das deutsche Team die Zügel etwas schleifen. „Wir haben in der zweiten Hälfte 52 Punkte zugelassen, das sagt alles“, hatte Gordon Herbert auch etwas zu bemängeln. „Die zweite Hälfte wird uns für das Auftaktspiel gegen Japan [bei den Olympischen Spielen] helfen. Wenn man ihnen Selbstvertrauen gibt, dann treffen sie ihre Würfe.“
So unterschiedlich der Spielverlauf und der Ausgang beider Partien waren, so unterschiedlich nutzten beide Coaches auch ihre Kader: Thomaidis packte angesichts der drei Ausfälle ihrer WNBA-Spielerinnen Jennifer Crowder und Marie Bertholdt in die Rotation, Crowder startete sogar und erhielt vor Alex Wilke den Vorzug in der Crunchtime. Bemerkenswert, ist Crowder doch – neben Bertholdt sowie Laura Zolper – nicht Bestandteil des Olympia-Kaders und muss Wilke die Backup von Peterson geben.
Herbert nutzte derweil seine Startaufstellung und Bankformation über längere Zeiträume, es zeichnet sich ab, dass Niels Giffey und Oscar da Silva am Ende der Rotation stehen und womöglich in manchen Partien gar nicht zum Einsatz kommen werden. Klar: Im Olympia-Sommer gibt es weniger Testspiele, weniger Trainingsmöglichkeiten, da ist so ein Vorbereitungsspiel wie ein Fünf-gegen-Fünf im Training, was die DBB-Auswahl in Berlin erst am Vortag so richtig üben konnte.
„Es ist cool, dass die Basketball-Welt in Deutschland zueinandersteht“
Nun blicken beide Teams auf den nächsten Schritt der Olympia-Vorbereitung. „Wir werden jetzt mit ihnen [nach London] reisen und die Zeit bis zu den Olympischen Spielen mit ihnen verbringen. Da wird man sich auf jeden Fall kennenlernen“, sagte Luisa Geiselsöder, um auf den Wert des Doubleheaders abseits des Parketts zurückzukommen. Auch Maodo Lo freut sich über kommende Kontaktpunkte: „Die Basketball-Welt in Deutschland ist nicht die allergrößte, wie es beispielsweise im Fußball der Fall ist, da ist es cool, wenn die Protagonisten zueinanderstehen und miteinander verbunden sind.“
Ein wenig schade findet es Lo aber schon, dass das Männer-Team mit dem Spiel direkt danach die Partie der Frauen nicht wirklich verfolgen konnte (das taten bei der Frauen-Mannschaft Fiebich, Geiselsöder, Sabablly und Wilke aus der ersten Reihe). Dafür könnte nun in London Zeit sein, wo beide Teams gegen den stärkst möglichen Gegner, die USA, testen: die Männer am Montag, die Frauen am Dienstag, welche zuvor am Sonntag noch gegen Großbritannien antreten.
Für Geiselsöder ist die Verbindung zum Männer-Team „sehr wichtig. Ich finde es schade, dass man diesen Verbindungspunkt zwischen Damen- und Herren-Team so schnell verliert. Wenn man sich gegenseitig unterstützt, wird es noch besser. Und es wird auch dem Damen-Basketball helfen, noch mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Männer haben Bock, wir haben Bock – zusammen sind wir noch stärker.“ Und so stehen zwei Teams auch wieder als eins da – mit dem Wunsch, dass da etwas zusammenwächst.