Toronto Raptors: Pleiten, Pech und … Paraden

Als einziges kanadisches Team der NBA nehmen die Toronto Raptors eine Ausnahmestellung in der US-Profiliga ein, Marc Lehmkühler würdigt die Geschichte der Franchise. Im zweiten Teil: von Vince Carters Abgang, zum Übergang mit Chris Bosh, hin zu Masai Ujirs und Kawhi Leonards Zugänge samt Meistertitel.

von Marc Lehmkühler

[zum ersten Teil der Raptors-Geschichtsstunde]

„Look. If you had one shot. Or one opportunity. To seize everything you ever wanted. In one moment. Would you capture it? Or just let it slip?“

Als im November 2002 der Film „8 Mile“ erscheint, sehen wohl nur die pessimistischsten Fans der Toronto Raptors eine Parallele zu ihrer Mannschaft. Und tatsächlich hat Eminem als Detroiter Rapper wohl ebenso wenig mit den kanadischen Korbjägern am Hut wie Céline Dion mit den Detroit Pistons. Dennoch beschreiben die ersten Verse des Soundtracks „Lose Yourself“ durchaus treffend, wie es um die Gemütslage vieler Raptors-Fans nur wenig später bestellt sein wird.

Zwar startet Toronto solide in die Saison 2001/02, und Vince Carter erntet zum dritten Mal in Folge die meisten All-Star-Stimmen. Bereits das Show-Spiel verpasst er jedoch mit Knieproblemen und beobachtet schließlich in Zivilkleidung, wie seine Mannschaft – inklusive der im Zeitraffer gealterten Center-Legende Hakeem Olajuwon – in der ersten Playoff-Runde an den Pistons scheitert.

In der folgenden Saison werden die Erwartungen sogar noch stärker enttäuscht. Hatten die Buchmacher vor der Saison den „Over/Under“-Wert noch bei 45 Siegen gesetzt, gewinnt ein verletzungsgeplagtes Raptors-Team (Carter absolviert nur 43 Spiele) lediglich 24 Partien – der 14. Platz im Osten. Auch 2003/04 verletzen sich in der entscheidenden Saisonphase mit den Top-Scorern Carter und Jalen Rose zwei Schlüsselspieler und beenden damit Torontos Playoff-Ambitionen.

War man sich im Sommer 2001 noch gewiss, dass das Ausscheiden der Raptors in der Eastern-Conference-Halbfinalserie gegen die Philadelphia 76ers nur eine Lernerfahrung am Anfang einer großen Erfolgsgeschichte gewesen sei, sehen sich die Fans spätestens jetzt mit schwierigen Fragen konfrontiert: War das siebte Spiel gegen die Sixers in Wahrheit bereits die eine Chance? Und war Vince Carters Buzzerbeater der eine Wurf, der eine Moment, der nicht genutzt, sondern liegengelassen wurde?

Ende einer Ära

Zumindest Vince Carter scheint diese Fragen zunehmend mit „Ja“ zu beantworten. Bereits bevor die Saison 2004/05 beginnt, kommt es zu Unstimmigkeiten, als Carter bei seinem jährlichen Charity-Spiel im Juli mit Trade-Gerüchten konfrontiert wird. Auch der neue General Manager Rob Babcock befeuert das Gerücht, Carters Agent habe entsprechende Forderungen gestellt, indem er diesem nicht widerspricht. Zugleich trifft Babcock selbst bereits zu Beginn seiner Amtszeit fragwürdige Entscheidungen, etwa als er mit dem achten Draft-Pick zur allgemeinen Verwunderung den Brasilianer Rafael Araujo zieht – direkt vor dem weitaus höher eingeschätzten Andre Igoudala.

Seine wichtigste Personalentscheidung trifft Babcock jedoch am 17. Dezember 2014. Alonzo Mourning, Eric Williams, Aaron Williams und zwei Erstrunden-Picks lautet das Paket, das die New Jersey Nets an diesem Tag im Gegenzug für Carter nach Kanada schicken. Mourning wird nie für die Raptors auflaufen, und weder die beiden Williams‘ noch die Draft-Picks (Joey Graham und Renaldo Balkman) einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es ist ein Tauschgeschäft, das überwiegend als negativ für die Raptors abgestempelt wird – und noch schlechter altern wird.

Mit diesem Trade findet zugleich die Vince-Carter-Ära ein trauriges Ende, an dem auch der Starspieler selbst nicht unschuldig ist. Auf 15,9 Punkte ist seine Produktion in seiner letzten Raptors-Saison geschrumpft – der schlechteste Wert seiner Raptors-Laufbahn. Trotz gegenteiliger Äußerungen Carters ist die Kritik schwer von der Hand zu weisen, „Air Canada“ habe vor seinem Trade mit angezogener Handbremse gespielt, zumal er im Nets-Trikot in den verbleibenden Saisonspielen 27,5 Punkte pro Partie auflegt. Es wird deshalb Jahre dauern, bis Carter im einst heimischen Air Canada Centre (heute: Scotiabank Arena) nicht mehr mit lauten Buhrufen empfangen wird.

Der neue Star-Saurier

Zum Glück für die Raptors steht der designierte Nachfolger Carters bereits fest: Chris Bosh, vierter Pick des legendären 2003er-Draft, direkt zwischen Carmelo Anthony und Dwyane Wade gezogen. Zwar dümpelt Toronto auch 2005/06 weiter im Tabellenkeller vor sich hin und gerät nur einmal in die Schlagzeilen: im Januar 2006, als Kobe Bryant den Raptors 81 Punkte einschenkt … Doch Bosh steigert sich kontinuierlich und entwickelt sich mit seiner Beweglichkeit und seinen vielseitigen spielerischen Qualitäten bald zu einem der besten Big Men der NBA.

So wird der 2,11-Meter-Mann 2006 erstmals All-Star, 2007 mit 22,6 Punkten und 10,7 Rebounds pro Partie sogar All-NBA-Spieler. Gemeinsam mit Point Guard T.J. Ford, dem italienischen Top-Pick Andrea Bargnani sowie den Euroleague-Veteranen José Calderon, Jorge Garbajosa und Anthony Parker führt Bosh die Raptors 2007 in die Playoffs. Head Coach Sam Mitchell und Manager Bryan Colangelo werden als Beste ihres Fachs ausgezeichnet. Gemeinsam feiern sie das erste Meisterschaftsbanner der Franchise-Geschichte: Atlantic-Division-Champion 2007.

Doch die aufkeimende Euphorie endet jäh mit einem Erstrundenaus, ausgerechnet gegen Vince Carter und die New Jersey Nets. Besonders pikant: In der ersten Partie in Toronto, dem ersten Playoff-Heimspiel seit fünf Jahren, ist das ganze Air Canada Centre in rot gekleidet. Nur tragen an jenem Abend nicht die Raptors rot, sondern die siegreichen Gäste aus dem „Garden State“.

Auch im folgenden Jahr verliert Toronto in der Auftaktrunde, diesmal gegen die Orlando Magic, die von einem überragenden Dwight Howard angeführt werden. Obwohl Toronto anschließend bekannte Namen wie Jermaine O’Neal oder Shawn Marion verpflichtet, wird es 2009 und 2010 nichts mit den Playoffs. So kommt es im Sommer 2010, wie viele Fans bereits befürchtet haben: Chris Bosh verlängert seinen Vertrag bei den Raptors nicht, sondern schließt sich – mit reichlich Zirkus und Fanfare – LeBron James, Dwyane Wade und den Miami Heat an.

Bannbrecher

Während Bosh 2011 erst im Finale an Dirk Nowitzki und den Dallas Mavericks scheitert und schließlich 2012 und 2013 den Titel feiert, verfolgen die Kanadier die Playoffs in allen drei Saisons vom heimischen Sofa aus. Dennoch ist das Frühjahr 2013 nicht nur für Bosh denkwürdig, der mit seinem Offensivrebound und Assist auf Ray Allen im sechsten Finalspiel eine wesentliche Aktion zur Meisterschaft liefert. Auch die Raptors treffen mit der Verpflichtung von Manager Masai Ujiri, dem amtierenden „Executive of the Year“ der Denver Nuggets, eine richtungsweisende Entscheidung.

Unter Ujiri, der mit einem Fünfjahresvertrag ausgestattet wird, schickt Toronto im Sommer 2013 zunächst Bargnani nach New York und beendet damit die zunächst verheißungsvolle aber insgesamt enttäuschende Ära des Nummer-eins-Picks von 2006. Auch Leistungsträger Rudy Gay wird während der Saison nach Sacramento geschickt. Stattdessen setzen Ujiri und Head Coach Dwane Casey ihr Vertrauen in „Wandervogel“ Kyle Lowry, die beiden einstigen Lottery-Picks DeMar DeRozan und Jonas Valanciunas sowie eine wechselnde Garde von Rollenspielern wie Amir Johnson, Terrence Ross oder Lou Williams. Mit Erfolg: 2014 und 2015 stehen die Raptors nach Jahren im Tabellenkeller wieder an der Spitze der Atlantic Division und ziehen erstmals seit 2008 wieder in die Playoffs ein. Dort zahlen sie jedoch Lehrgeld und scheiden trotz Heimvorteil jeweils in der ersten Runde aus.

Der große Durchbruch gelingt Toronto erst 2016. Nach 48 bzw. 49 Siegen in den beiden vorherigen Jahren pulverisieren die Raptors um ihre All-Star-Guards Lowry und DeRozan mit 56 Siegen die 50-Siege-Marke und werden Zweiter im Osten. Und als Toronto am 1. Mai 2016 im heimischen Air Canada Centre das siebte Spiel gegen die Indiana Pacers gewinnt, ist endlich der Bann gebrochen. 15 Jahre nach dem Erfolg gegen die New York Knicks gehen die Toronto Raptors siegreich aus einer Playoff-Serie hervor. Mehr noch: Im Gegensatz zu 2001 gewinnen Lowry (35 Punkte, sieben Rebounds, neun Assists), DeRozan (28 Punkte, acht Rebounds) und Co. auch das entscheidenden siebte Spiel der zweiten Runde mit 116:89 gegen Miami. Erstmals in der Franchise-Geschichte stehen die Toronto Raptors im Finale der Eastern Conference. Erst dort ist gegen LeBron James und die Cleveland Cavaliers mit 2-4 Endstation.

LeBronto

„A city owned by LeBron James in Canada” – so definiert das Urban Dictionary den Begriff „LeBronto”. Tatsächlich erschafft ESPN-Kommentator Mark Jones diesen Neologismus im zweiten Spiel der Eastern-Conference-Finalserie 2018 zwischen den Raptors und Cavaliers, inspiriert vom Comeback James’ (43 Punkte, acht Rebounds, 14 Assists) und Cleveland.

Am Ende gewinnen die Cavaliers mit 128:110 in Toronto. Bereits im ersten Spiel hatte James sein Team zu einem grandiosen Comeback und einem 113:112-Auswärtssieg nach Verlängerung geführt. Noch bitterer wird es in der dritten Begegnung: Erneut liegt Toronto hoch in Führung, diesmal mit 17 Punkten. Erneut führt James die Cavaliers zurück ins Spiel. Und beim Stand von 103:103, mit acht Sekunden auf der Uhr, führt James den Ball über die Länge des Spielfelds und trifft einen der denkwürdigsten Würfe seiner Karriere:

Spätestens jetzt ist das neue LeBronto-Meme fest auf „NBA Twitter“ verankert. Doch nicht nur, weil James den Raptors in dieser Serie Albträume bereitet. Tatsächlich waren die Raptors nach ihrem ersten Auftritt in den Conference-Finals 2016 auch im folgenden Jahr im Ost-Finale an den Cavaliers gescheitert – diesmal gar mit 0-4. Und nun, 2018, holt James erneut den Besen heraus und komplettiert den bitteren Toronto-Hattrick.

Das Playoff-Déjà-Vu erzeugt in Toronto eine absurde Situation. In den letzten sechs Jahren hat keine Mannschaft in der Eastern Conference mehr Spiele gewonnen. Nach fast zwei Jahrzehnten sportlicher Irrelevanz schafften es die Raptors dreimal in Folge in die Conference-Finals. Und jedes Mal konnte erst der beste Basketballspieler seiner Generation die Mannschaft stoppen. Doch im Moment der erneuten Niederlage gegen die Cleveland Cavaliers sind diese Erfolge null und nichtig. Stattdessen denken die Raptors-Fans – und vermutlich auch der eine oder andere Spieler – in diesem Moment an die bitteren Niederlagen der letzten drei Jahre. Sie denken an LeBronto.

Harte Entscheidungen

Wie Masai Ujiri zu Eminem steht und ob „Lose Yourself“ zu seiner Spotify-Playlist zählt, ist nicht weiter bekannt. Offensichtlich treibt aber auch den Raptors-Manager nach dem neuerlichen Ausscheiden der Gedanke um, wie viele Titelchancen er und seine Mannschaft noch erhalten werden. Denn neben der Carter-Ära in Toronto gibt es in der NBA unzählige Beispiele von aufstrebenden oder elitären Mannschaften, deren Stern allzu plötzlich verglühte.

Also setzt Ujiri alles auf einer Karte. Am 11. Mai, vier Tage nach dem Playoff-Aus, wird Head Coach Dwane Casey gefeuert – kurz vor dessen Kür zum „Coach of the Year“. Am 18. Juli folgt der Trade von DeRozan, Nachwuchsspieler Jakob Pöltl und einem Draft-Pick nach San Antonio. Im Gegenzug kommen die titelerfahrenen Kawhi Leonard und Danny Green. Es ist eine zugleich harte und streitbare Entscheidung. Für den loyalen Leistungsträger und Publikumsliebling DeRozan, der die Allzeit-Liste der Franchise bei den Spielen, Minuten und Punkten anführt, kommt mit Leonard zwar ein jüngerer und besserer Spieler, der jedoch zuletzt mit Verletzungen zu kämpfen hatte, dessen Vertrag nur noch ein Jahr läuft und der kein Interesse haben soll, in Toronto zu verlängern. Zur Trade-Deadline im Februar muss auch der langjährige Raptors-Center Jonas Valanciunas, gemeinsam mit CJ Miles und Delon Wright, das Team verlassen. Im Tausch kommt Marc Gasol aus Memphis.

Sind es am Ende diese kaltblütigen und mutigen Schachzüge von Masai Ujiri, welche die Geschichte der Toronto Raptors auf immer umschreiben? Ist es das Upgrade vom limitierten Borderline-All-Star zum vielleicht besten Two-Way-Spieler der Welt, der in den Playoffs knapp 30 Punkte, neun Rebounds und vier Assists pro Spiel auflegt und auf höchstem Niveau verteidigt? Ist es die Addition von NBA-Champ Danny Green und Weltmeister Marc Gasol? Große Momente der Veteranen Kyle Lowry und Serge Ibaka? Die Entwicklung der Youngster Pascal Siakam und Fred VanVleet zu echten Schlüsselspielern? Das Genie von Rookie-Coach Nick Nurse? Oder einfach die Tatsache, dass LeBron James nach Los Angeles wechselt und erstmals seit 2005 die Playoffs verpasst, wodurch sich das „LeBronto-Problem“ von selbst erledigt?

Der Durchbruch

Am Ende sind es alle diese Faktoren, die im Frühjahr 2019 gemeinsam den Unterschied ausmachen. Vor allem aber lassen sich die Raptors, angeführt von einem überragenden Leonard, auch von Rückschlägen nicht beirren und drehen sowohl in der ersten Runde gegen Orlando als auch in der zweiten Runde gegen Philadelphia die Serie. Und im entscheidenden Moment treffen Nervenstärke und das notwendige Quäntchen Glück aufeinander. Denn 18 Jahre nach Carter vs. Iverson geht es im Conference-Halbfinale zwischen Toronto und Philadelphia erneut ins entscheidende siebte Spiel. Erneut wird dieses mit dem letzten Wurf entschieden. Doch dieses Mal findet der lange Zweipunktewurf von Kawhi Leonard – der eine Wurf – seinen Weg durch den Ring:

Die Euphorie ist jedoch schnell verflogen, denn im Conference-Finale gegen MVP Giannis Antetokounmpo und die Milwaukee Bucks steht Toronto nach zwei Auswärtspleiten einmal mehr mit dem Rücken zur Wand. Unter dem Eindruck früherer Pleiten stimmen Kommentatoren wie TV-Schreihals Stephen A. Smith den Abgesang auf die Raptors an: „Die Serie ist gelaufen. Die Raptors gewinnen höchstens noch ein Spiel. Ich habe es schon nach dem ersten Spiel gesagt, dass die Serie vorbei ist.“ Nur der selbsternannte „Fun Guy“ Kawhi Leonard kommentiert die Lage gewohnt entspannt. Auf die Frage eines Journalisten, wie es nun weitergehe, antwortet er: „Es geht nach Toronto. Spiel drei.“

Und in diesem dritten Spiel zeigen die Raptors, wo der Unterschied zu früheren Jahren liegt. Gleich zweimal geht die Partie in die Verlängerung. Wieder einmal geht der überragende Leonard voran – als Top-Scorer (36 Punkte), defensiv gegen den „Greek Freak“ und mit wichtigen Crunchtime-Aktionen. Auch Siakam (25/11), Gasol (16/12) und sogar Reservist Norman Powell (19 Punkte) wachsen über sich hinaus. Am Ende gewinnt Toronto mit 118:112. Mit diesem Sieg tanken die Raptors Selbstvertrauen, und neben Leonard starten auch die anderen Raptors durch, von Lowry bis hin zum frisch gebackenen Vater VanVleet, der vom Bankdrücker zum X-Faktor avanciert. Eine Woche später stehen die Raptors nach vier Siegen in Folge erstmals in den NBA Finals.

Könige im Norden

Wie sagt man so schön: Der Rest ist Geschichte…

Nach einem 118:109-Heimsieg der Raptors zum Auftakt gelingt es Golden State zwar zunächst, die Serie in der zweiten Partie wieder auszugleichen. Und obwohl Warriors-Star Kevin Durant weiterhin verletzt fehlt und in der dritten Begegnung auch noch Klay Thompson ausfällt, erwarten viele, dass die Finals nun doch zugunsten der Warriors kippen könnten. Doch die Raptors meistern auch diese Situation und verlassen die „Bay Area“ mit einer 3-1-Führung und der Möglichkeit, vor heimischem Publikum die Meisterschaft zu feiern.

Doch nach dem fünften Spiel ist niemandem so recht nach feiern zu Mute. Den Raptors nicht, die binnen weniger Minuten zunächst einen 91:95-Rückstand in eine 103:96-Führung drehen, dann eine viel diskutierte Auszeit nehmen und schließlich das Spiel mit 105:106 verlieren. Aber auch nicht den siegreichen Warriors. Die ziehen im fünften Finals-Duell ihre letzte Trumpfkarte – Kevin Durant – und müssen mit ansehen, wie ihr zweimaliger Finals-MVP Anfang des zweiten Viertels zu Boden sinkt. Mit einem Achillessehnenriss, wie sich später herausstellt.

Auch das sechste Spiel wird von einer schweren Verletzung auf Seiten der Warriors überschattet, als sich Klay Thompson im dritten Viertel das Kreuzband reißt. Doch das Spiel bleibt eng. Neben Leonard sind es nun Lowry, Siakam (beide 26 Punkte) und VanVleet (22 Punkte), die wichtige Körbe erzielen. Wenige Sekunden vor Spielende hat Steph Curry dennoch die Möglichkeit, das Spiel per Dreier zugunsten der Warriors zu entscheiden. Doch der Wurf verfehlt sein Ziel. Kawhi Leonard, der spätere Finals-MVP, besiegelt von der Freiwurflinie den 114:110-Endstand. Die Toronto Raptors sind NBA-Champion 2019.

Nachdem die Franchise in ihren ersten 23 Jahren zahlreiche Tiefschläge verkraften musste und bestenfalls Atlantic-Division-Titel und Dunk-Contest-Erfolge feiern durfte, rollt nun eine Welle des Glücks durch Toronto und viele andere Städte im Land. Und es rollt eine grandiose Meisterschaftsparade durch die Stadt am Lake Ontario, die den ersten Major-Sport-Titel einer kanadischen Franchise seit 1993 feiert, als die Montreal Canadians NHL-Champion wurden und die Toronto Blue Jays die Baseball-Meisterschaft gewannen. 

Das nächste Kapitel

Als die Toronto Raptors am 6. März 2020 erstmals wieder in die „Bay Area“ zurückkehren, ist vieles anders als neun Monate zuvor. Die Warriors spielen nicht mehr in der Oracle Arena, sondern im Chase Center. Sie sind nicht mehr der Schrecken der Liga, sondern rangieren auf dem letzten Tabellenplatz. Kevin Durant arbeitet bei den Brooklyn Nets an seinem Comeback. Und Kawhi Leonard arbeitet in seiner kalifornischen Heimat daran, nun auch die notorische Verlierer-Franchise Los Angeles Clippers auf den NBA-Olymp zu führen.

Der größte Unterschied ist jedoch, dass die Toronto Raptors eben nicht als eine solche Verlierer-Franchise nach San Francisco reisen, sondern als Titelverteidiger. Und obendrein als zweitplatzierte Mannschaft der Eastern Conference. Denn obgleich der Aufenthalt von Leonard und Green nur ein Jahr währte, stellen die Raptors – zur allgemeinen Überraschung – zu diesem Zeitpunkt die statistisch zwölftbeste Offensive und zweitbeste Defensive der Liga.

Der einstige Nummer-27-Pick Pascal Siakam (23,7 PPG, 7,5 RPG, 3,4 APG) hat den Sprung vom Rollenspieler zum All-Star-Starter vollbracht. Auch Kyle Lowry (19,4 PPG, 4,8 RPG, 7,7 APG) war in Chicago zum sechsten Mal infolge beim Show-Spiel dabei und ist der unangefochtene Anführer der Mannschaft. Die freien Plätze in der Starting Five füllen Playoff-Held VanVleet und Youngster OG Anunoby, der die Playoffs 2019 verletzt verpasste. Und auf der Bank hat sich der ungedraftete Rookie-Guard Terence Davis zum echten „Steal“ entpuppt.

Zwar hat sich bis zur Zwangspause die Meisterdebatte primär um die beiden LA-Teams – LeBrons Lakers und Kawhis Clippers – sowie die brandheißen Milwaukee Bucks gedreht. Kampflos hätten diese Toronto Raptors den Titel aber sicher nicht hergeben – 25 Jahre nachdem die Dinosaurier im hohen Norden wieder zum Leben erweckt wurden.