Folterläufe
Wer kennt sie nicht, die Suicide- oder auch Liniensprints genannten Mittel, um Spieler an ihre körperlichen Leistungsgrenzen zu bringen?
Doch bringen die Sprints überhaupt etwas für die basketballspezifische Leistung? Lösen sie einen optimalen Reiz zur Verbesserung der Konditionsleistung eines Basketballers aus oder sind sie nur ein reines Folterinstrument für Trainer, die ihre Spieler für die Trainings- und Spielleistung belohnen wollen?
In der Sportwissenschaft grenzt man zwischen den vier Konditionsfähigkeiten Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit ab. Sprints und schnelle Bewegungen ordnet man der Schnelligkeit zu. Schnelligkeit ist die Fähigkeit, eine Bewegung oder Strecke maximal schnell auszuführen. Das Ziel ist es, so schnell wie möglich von A nach B zu kommen. Da man bis circa zehn Sekunden von Schnelligkeit spricht, fällt ein Liniensprint unter den Bereich Ausdauer. In der Sportwissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von Schnelligkeitsausdauer.
Die Strecke für einen Liniensprint beträgt etwa 132 Meter. Dafür benötigen trainierte Basketballer 30-35 Sekunden. Bist Du schon mal 30 Sekunden am Stück mit höchstem Tempo gesprintet? Wahrscheinlich nicht. Selbst wenn man drei oder vier Fastbreaks hintereinander gesprintet ist, kommt man nicht auf 30 Sekunden volle Sprintzeit.
Ein Liniensprint ist nicht optimal, aber man wird schon fit, wenn man es öfters macht?
Nein! Genau das ist falsch! Ein Liniensprint trainiert etwas, was Basketballer nicht brauchen (Schnelligkeitsausdauer) und verschlechtert den Sportler in dem, was er eigentlich braucht (maximale Sprintschnelligkeit).
Warum ist das so? Bei Sprints, Sprüngen oder anderen explosiven Bewegungen wie Wurf- und Stoßbewegung (z.B. beim Speer oder Kugelstoßen) kommt es auf eine maximal schnelle Bewegungsausführung an (vgl. White Men can Jump – Das Sprungkrafttraining für Jedermann).
Es ist also extrem wichtig, bei Sprints immer das Maximale aus dem Körper herauszuholen, da man sich nur dadurch an das benötigte Bewegungsmuster gewöhnt. Je schneller die Bewegung (Sprung) bzw. Bewegungsabfolge (Sprint), desto eher verbessert man seine Schnelligkeit.
Jedoch gilt genauso, dass man sich bei nicht-maximaler Ausführung nicht verbessert. Genau das Gegenteil ist der Fall: Der Körper gewöhnt sich an das langsamere Bewegungsmuster und verschlechtert sich sogar. Da man über 30 Sekunden nicht maximal (100%) schnell laufen kann, verbessert man sich zwar in der Schnelligkeitsausdauer, verschlechtert sich aber in der maximalen Sprintschnelligkeit.
„Was soll man anstelle von Liniensprints machen?“
Liniensprints sind ja an sich nichts Schlechtes, sondern trainieren sehr gut die schnellen Richtungswechsel, die beim Basketball benötigt werden. Jedoch ist es sehr wichtig, die richtige Belastungsdauer und auch eine entsprechende Pause zu gewähren. Insgesamt sollten die Sprints nicht länger als zehn Sekunden dauern. Pro zehn gesprintete Meter sollte eine Pause von einer Minute eingelegt werden, damit man bei dem nächsten Sprint wieder maximal schnell sprinten kann.
Eine sehr gute Übung ist z.B. der Pro-Sprint (ich habe ihn in seiner ursprünglichen Form etwas verändert), bei dem man von der Grundlinie einmal zur Mittellinie (grüner Pfeil; siehe Abbildung) und zurück (roter Pfeil) und dann bis zur gegenüberliegenden Endlinie (blauer Pfeil) sprintet .
Natürlich kann man auch eigene Ideen zur Erstellung von Liniensprints mit einfließen lassen. Da sind eurer Kreativität keine gesetzt. Bedenkt nur, dass ihr die Belastungsdauer bei circa zehn Sekunden haltet und euch bzw. euren Spielern ausreichende Pausen gewährleistet.
Und wer erzählt das jetzt meinem Trainer?
Nun ja, das ist ein schwieriges Thema: Da ihr nun wisst, dass Liniensprints weder Spaß machen (die Masochisten mal ausgenommen), noch einen optimalen Reiz auf die Kondition des Basketballers auswirken, müsst ihr euch zukünftig noch mehr über die Liniensprints ärgern (Sorry für die Informationen – manchmal ist es doch besser, wenn man etwas nicht weiß). Ihr könnt eurem Trainer aber auch mal diesen Artikel ausdrucken und durchlesen lassen. Wenn ihr euch nicht traut oder nicht in der Position seid, euren Trainer auf etwas hinzuweisen, kann ich euch nur einen Tipp geben: Sprintet bei den Liniensprints nicht hundertprozentig mit und versucht nicht als letzter anzukommen – irgendein Center ist immer langsamer. Solltet ihr mehrere Sprints machen, sprintet den ersten mit 100% und ruht euch bei den nächsten aus. Ihr könnt ja nichts dafür, dass euer Trainer „Coach Carter“ heißt.